schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Donnerstag, 27. September 2012

Christa Issinger, Die Liebe ist nicht rot














Der Titel dieses Lyrikbandes, eine Verszeile aus dem Gedicht „Untergang“, ist gleichzeitig Programm, macht er doch unmissverständlich klar, dass hier lyrische Traditionen bekannt sind und daher auch bewusst gebrochen werden können.
Das beweisen die Gedichte in diesem Buch auf eindrucksvolle Weise.

Facettenreich und schillernd, geschliffenen Kristallen gleich, offenbaren sie eine sensible Lyrikerin, die mit ihrem Arbeitsmaterial, der Sprache, meisterhaft umzugehen versteht. Und ihr auch einiges abverlangt, um die Grenzen des Sagbaren auszuloten.

So ist denn auch die Sprache selbst, neben den vielfältigen Formen von Zuneigung und Liebe im Wandel der Jahre und der Zeiten, ein wichtiges Thema im Schreiben von Christa Issinger.

Zeitlose filigrane Texte haben in diese Sammlung Eingang gefunden. Texte, in denen die leisen Töne dominieren, metaphernreich, dabei ganz im Jetzt und Hier verankert. Sie erschließen sich dem Leser im steten Wechsel von Ausgesprochenem und Ausgespartem, sie eröffnen Räume, die er aufgrund eigener Erfahrungen und Assoziationen auffüllen kann.

Christa Issinger hat etwas zu sagen – und sie tut das wortgewandt, gedankentief, schön.


Monika Kafka


Montag, 24. September 2012

rostroter traum

/c/ dieter vandory, grenzen, 2012















die stunden sind

schwer geworden hängen sie

am spalier der zeit



der sie lesen soll

ist längst vergoren

die süße bleibt 


ein rostroter traum




/c/ monika kafka, 09/2


Freitag, 21. September 2012

leseempfehlung





Das Warten hat sich gelohnt, liebe Lyrikfreunde.
Endlich ist er da, der neue Gedichtband von Werner Weimar-Mazur, Preisträger des Hildesheimer Lyrikwettbewerbs 2012.

Ich kann diese Gedichte nur wärmstens empfehlen!


Leseprobe:


erdgeschichte 

wir betten uns auf worte
reden von den jahren
in denen die liebe
sich nicht in der grammatik verliert

wir sprechen in der einfachen gegenwart
die sätze fangen ohne wenn und aber an
deine lippen schmecken nach warmen adjektiven

mit den fremdwörtern kommt die sprachlosigkeit
beginnt das schweigen




jaguarnacht

manchmal endet eine liebe
und nimmt die farbe des wassers an
manchmal passt sie in eine hand
oder ein herz
in der jaguarnacht
hörst du den schlamm
am grund des flusses
murmeln
  
/c/ werner weimar-mazur, 2012

 

Samstag, 15. September 2012

ich sehe dich

/c/ dieter vandory, zauberberg, 2011









und wie du den tag
schöpfst aus gestundeter stille
und morgentau

 die nachtschweren glieder netzt



sonnengeblendet die wiesen

durchschreitest und randkühle streifst

aus nebelig wabernden wäldern



und wie du lichtleicht atmest

im rhythmus des jahres

das herzgeritzt sich neigt



steigt auf ein schillernder vogel

von geernteten feldern

trägt er noch eine ähre zeit






/c/ monika kafka, 09/12

Samstag, 8. September 2012

Dortheim




Diese Geschichte beginnt in Süddeutschland. In einer Stadt, von der Marlene adoptiert wurde, nachdem sie hier eines Tages angekommen war mit zwei Koffern, vollgepackt mit den Resten ihres bisherigen Lebens.
Und sie wird auch hier enden, in dieser Stadt, in der sich Marlene mittlerweile daheim fühlt, auch wenn sie ihr selbst nach zwanzig Jahren hin und wieder noch so fremd erscheint wie am Tage ihrer Ankunft.
Dazwischen aber schiebt sich ein anderer Ort, eine andere Gegend. Und damit auch die erste Hälfte ihres bisherigen Lebens ...

Ein kühler Wind schlug Marlene entgegen, als sie aus der U-Bahn stieg und ins Freie trat. Etwas Modriges lag in der Luft, durchdrungen vom Duft nach frischem Brot, das aus einer nahegelegenen Backstube nach draußen drang.

Es schmeckt bereits nach Herbst, dachte sie, als sie den großen, fast menschenleeren Rathausplatz überquerte. Am Fischbrunnen schnäbelten aufgeregte Tauben. Ob sie wohl über ihr buntes Spiegelbild erstaunt sind, fragte sich Marlene und musste unwillkürlich lächeln. Auf der Wasseroberfläche schwammen bereits die ersten rostroten Blätter.
Aus den Bäumen blitzte es golden auf, als die ersten Sonnenstrahlen über die Giebel der umliegenden Häuser lugten. Sie würden die Morgennebel vertreiben, der Stadt und ihren Menschen einen schönen Herbsttag schenken, dachte Marlene.
Einer plötzlichen Laune folgend bog sie in die Rosenthalstraße ein, die zum Viktualienmarkt führt.

Eilig wurden hier Laster entladen, die bunten Obst- und Gemüsekisten sorgfältig gestapelt, sortiert, verteilt.
Marlene schlenderte an den Ständen vorbei und genoss das sich ihr bietende Bild.
Geschäftige Marktfrauen standen vor bereits ausgelegter Ware, polierten noch schnell den einen oder anderen Apfel, legten Salatgurken in Reih und Glied und zupften das grüne Kleid des Blumenkohls zurecht. Gelb leuchteten die Birnen neben violetten Pflaumen, die ihr dunkel-süßes Geheimnis unter einer glatten Haut verbargen, und Quitten verströmten ihren herben Duft.      
Der erdige Geruch von Pilzen weckte die Erinnerung an ferne Wälder, reife Trauben ließen sie an üppige Weinberge denken, aus denen ein warmer, schwerer Spätsommerduft stieg. Damals ...

Nur dass damals die Stände der Markfrauen eher ärmlich aussahen und das Angebot recht übersichtlich war, dachte sie bitter. Weder wurde die Ware poliert noch auf besonders ansprechende Weise präsentiert, man war schon zufrieden, wenn es sie überhaupt gab.

Eine Kinderschar wirbelte über den Markt und riss Marlene aus ihren Gedanken. Schulausflug, tippte sie. Die bunten Rucksäcke wippten auf den schmalen Rücken, als ob sie mitlachten. Marlene sah den Kindern eine Weile nach.
Während sie sich unter eine alte Kastanie auf die Bierbänke setzten und ihre Milchschnitten auspackten, kaufte sie sich kurzerhand eine Traube, zwinkerte dem skeptisch dreinblickenden, bronzenen Valentin über dem Brunnen zu und ging Richtung Isar.

Während sie eine Beere nach der anderen pflückte, das saftige, volle Aroma schmeckte, lösten sich in den Auen die letzten Nebelschwaden auf. Und in der milden Sonne hatte Marlene plötzlich das Gefühl, als ginge sie nicht mehr an der Isar entlang, sondern an dem aus Kindertagen vertrauten Weißbach. Die Stadtsilhouette verschwand allmählich und an ihre Stelle trat wieder das kleine Straßendorf, mit seinen geduckten, farbenfrohen Häusern, an denen sich Weinreben und Rosen rankten.
Sie sah die Wehrkirche neben dem eingezäunten Schulhof, in dessen Mitte eine üppige Kastanie angenehme Kühle bot.
Die Turmuhr schlug acht Mal – und wie an jedem Tag zu Schuljahresbeginn setzte sich eine Kinderkarawane in Bewegung, zog hinaus Richtung Weinberge, die am Ende des Dorfes auf die kleinen Helfer warteten.

„Hast du auch Brot mit Speck dabei?“, fragte Marlene ihre Freundin.
„Ja, natürlich, was denn sonst?“, antwortete Brunhilde. „Obwohl, heute“, sie lächelte voller Stolz, „heute habe ich sogar ein kleines Stück Schweinewurst mitbekommen, die lässt sich gut über dem Feuer braten“. Ihre Augen glänzten.
„Ich brate heute nur Speck“, sagte Marlene. Wenn mir die Buben nur auch einen Weidenspieß schnitzen würden, ich kann das nämlich nicht“, seufzte sie, „außerdem darf ich kein Taschenmesser mitnehmen, das haben die Eltern verboten.“
„Ach, denk dir nichts, die machen das schon. Für uns alle“, entgegnete Bruni. „Man muss sie nur bitten, dann fühlen sie sich wichtig.
Aber ohne Messer kannst du doch gar nicht arbeiten“, fuhr die Freundin fort, „die Trauben lassen sich nicht so einfach abreißen“.
„Dafür habe ich ja auch eine kleine Schere mitgenommen, du, das ist nicht so gefährlich“, sagte Marlene.

Nach gut einer Stunde hatten die Kinder die staatlichen Weinberge erreicht. Dort wartete bereits ein Traktor mit Anhänger auf sie, der sie das letzte Stück hinauf fahren sollte. Ein Riesenspaß war das jedes Mal. Die Sonne hatte sich mittlerweile durch den Morgennebel gekämpft. In der dunstigen, noch kühlen Luft war der süße Duft der Trauben zum Greifen nah. In der Ferne schlängelte sich das Silberband des Baches durchs Tal, Maisfelder leuchteten durchs rostige Laub und vereinzelt durchdrang der Ruf eines Kuckucks die Stille, die mit der Ankunft der Kinder jäh beendet wurde.


Ausgerüstet mit Weidenkörben übernahmen immer je zwei Kinder eine Reihe der Rebstöcke. Marlene arbeitete stets mit ihrer Freundin zusammen.

Wer würde heute die schönste, die größte Traube finden? Wer als erster seine Reihe abgeerntet haben? Flink griffen die kleinen Finger ins morgenfeuchte Weinlaub, legten zwischen den herzförmigen Blättern nicht selten ein glitzerndes Spinnennetz frei, Traube um Traube füllte die Körbe und ... die Mägen der Kinder, die essen durften, so viel sie wollten und konnten.
Bald schon kündigten Rauchschwaden die Mittagspause an.
Flink hatten die Jungen Spieße geschnitzt und schon scharten sich alle ums Feuer.

Niemals wieder hatte Marlene eine köstlichere Brotzeit genossen als jene im sonnenwarmen Weinberg, die, war sie auch noch so bescheiden, so doch um alle Farben und Düfte des Herbstes bereichert wurde. 

Kinderarbeit, dachte Marlene, während sie die letzte Beere an der Isar genoss, Kinderarbeit, was denn sonst?

In gewissem Sinne war es das sicherlich auch, was in ihrem Dortheim vor langer Zeit stattgefunden hatte. Doch so empfunden hatten sie es damals nicht, die Kinder, vielmehr als eine Art verlängerter Ferien.

Wie lange schon sind diese Erinnerungen nicht mehr zurückgekehrt, wunderte sich Marlene. Was so eine Weintraube an einem Septembermorgen nicht alles vermag, lachte sie und schritt vergnügt über die Wittelsbacher Brücke zurück in den Tag. 



/c/ Monika Kafka, 2009