schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Montag, 24. September 2012

rostroter traum

/c/ dieter vandory, grenzen, 2012















die stunden sind

schwer geworden hängen sie

am spalier der zeit



der sie lesen soll

ist längst vergoren

die süße bleibt 


ein rostroter traum




/c/ monika kafka, 09/2


Freitag, 21. September 2012

leseempfehlung





Das Warten hat sich gelohnt, liebe Lyrikfreunde.
Endlich ist er da, der neue Gedichtband von Werner Weimar-Mazur, Preisträger des Hildesheimer Lyrikwettbewerbs 2012.

Ich kann diese Gedichte nur wärmstens empfehlen!


Leseprobe:


erdgeschichte 

wir betten uns auf worte
reden von den jahren
in denen die liebe
sich nicht in der grammatik verliert

wir sprechen in der einfachen gegenwart
die sätze fangen ohne wenn und aber an
deine lippen schmecken nach warmen adjektiven

mit den fremdwörtern kommt die sprachlosigkeit
beginnt das schweigen




jaguarnacht

manchmal endet eine liebe
und nimmt die farbe des wassers an
manchmal passt sie in eine hand
oder ein herz
in der jaguarnacht
hörst du den schlamm
am grund des flusses
murmeln
  
/c/ werner weimar-mazur, 2012

 

Samstag, 15. September 2012

ich sehe dich

/c/ dieter vandory, zauberberg, 2011









und wie du den tag
schöpfst aus gestundeter stille
und morgentau

 die nachtschweren glieder netzt



sonnengeblendet die wiesen

durchschreitest und randkühle streifst

aus nebelig wabernden wäldern



und wie du lichtleicht atmest

im rhythmus des jahres

das herzgeritzt sich neigt



steigt auf ein schillernder vogel

von geernteten feldern

trägt er noch eine ähre zeit






/c/ monika kafka, 09/12

Samstag, 8. September 2012

Dortheim




Diese Geschichte beginnt in Süddeutschland. In einer Stadt, von der Marlene adoptiert wurde, nachdem sie hier eines Tages angekommen war mit zwei Koffern, vollgepackt mit den Resten ihres bisherigen Lebens.
Und sie wird auch hier enden, in dieser Stadt, in der sich Marlene mittlerweile daheim fühlt, auch wenn sie ihr selbst nach zwanzig Jahren hin und wieder noch so fremd erscheint wie am Tage ihrer Ankunft.
Dazwischen aber schiebt sich ein anderer Ort, eine andere Gegend. Und damit auch die erste Hälfte ihres bisherigen Lebens ...

Ein kühler Wind schlug Marlene entgegen, als sie aus der U-Bahn stieg und ins Freie trat. Etwas Modriges lag in der Luft, durchdrungen vom Duft nach frischem Brot, das aus einer nahegelegenen Backstube nach draußen drang.

Es schmeckt bereits nach Herbst, dachte sie, als sie den großen, fast menschenleeren Rathausplatz überquerte. Am Fischbrunnen schnäbelten aufgeregte Tauben. Ob sie wohl über ihr buntes Spiegelbild erstaunt sind, fragte sich Marlene und musste unwillkürlich lächeln. Auf der Wasseroberfläche schwammen bereits die ersten rostroten Blätter.
Aus den Bäumen blitzte es golden auf, als die ersten Sonnenstrahlen über die Giebel der umliegenden Häuser lugten. Sie würden die Morgennebel vertreiben, der Stadt und ihren Menschen einen schönen Herbsttag schenken, dachte Marlene.
Einer plötzlichen Laune folgend bog sie in die Rosenthalstraße ein, die zum Viktualienmarkt führt.

Eilig wurden hier Laster entladen, die bunten Obst- und Gemüsekisten sorgfältig gestapelt, sortiert, verteilt.
Marlene schlenderte an den Ständen vorbei und genoss das sich ihr bietende Bild.
Geschäftige Marktfrauen standen vor bereits ausgelegter Ware, polierten noch schnell den einen oder anderen Apfel, legten Salatgurken in Reih und Glied und zupften das grüne Kleid des Blumenkohls zurecht. Gelb leuchteten die Birnen neben violetten Pflaumen, die ihr dunkel-süßes Geheimnis unter einer glatten Haut verbargen, und Quitten verströmten ihren herben Duft.      
Der erdige Geruch von Pilzen weckte die Erinnerung an ferne Wälder, reife Trauben ließen sie an üppige Weinberge denken, aus denen ein warmer, schwerer Spätsommerduft stieg. Damals ...

Nur dass damals die Stände der Markfrauen eher ärmlich aussahen und das Angebot recht übersichtlich war, dachte sie bitter. Weder wurde die Ware poliert noch auf besonders ansprechende Weise präsentiert, man war schon zufrieden, wenn es sie überhaupt gab.

Eine Kinderschar wirbelte über den Markt und riss Marlene aus ihren Gedanken. Schulausflug, tippte sie. Die bunten Rucksäcke wippten auf den schmalen Rücken, als ob sie mitlachten. Marlene sah den Kindern eine Weile nach.
Während sie sich unter eine alte Kastanie auf die Bierbänke setzten und ihre Milchschnitten auspackten, kaufte sie sich kurzerhand eine Traube, zwinkerte dem skeptisch dreinblickenden, bronzenen Valentin über dem Brunnen zu und ging Richtung Isar.

Während sie eine Beere nach der anderen pflückte, das saftige, volle Aroma schmeckte, lösten sich in den Auen die letzten Nebelschwaden auf. Und in der milden Sonne hatte Marlene plötzlich das Gefühl, als ginge sie nicht mehr an der Isar entlang, sondern an dem aus Kindertagen vertrauten Weißbach. Die Stadtsilhouette verschwand allmählich und an ihre Stelle trat wieder das kleine Straßendorf, mit seinen geduckten, farbenfrohen Häusern, an denen sich Weinreben und Rosen rankten.
Sie sah die Wehrkirche neben dem eingezäunten Schulhof, in dessen Mitte eine üppige Kastanie angenehme Kühle bot.
Die Turmuhr schlug acht Mal – und wie an jedem Tag zu Schuljahresbeginn setzte sich eine Kinderkarawane in Bewegung, zog hinaus Richtung Weinberge, die am Ende des Dorfes auf die kleinen Helfer warteten.

„Hast du auch Brot mit Speck dabei?“, fragte Marlene ihre Freundin.
„Ja, natürlich, was denn sonst?“, antwortete Brunhilde. „Obwohl, heute“, sie lächelte voller Stolz, „heute habe ich sogar ein kleines Stück Schweinewurst mitbekommen, die lässt sich gut über dem Feuer braten“. Ihre Augen glänzten.
„Ich brate heute nur Speck“, sagte Marlene. Wenn mir die Buben nur auch einen Weidenspieß schnitzen würden, ich kann das nämlich nicht“, seufzte sie, „außerdem darf ich kein Taschenmesser mitnehmen, das haben die Eltern verboten.“
„Ach, denk dir nichts, die machen das schon. Für uns alle“, entgegnete Bruni. „Man muss sie nur bitten, dann fühlen sie sich wichtig.
Aber ohne Messer kannst du doch gar nicht arbeiten“, fuhr die Freundin fort, „die Trauben lassen sich nicht so einfach abreißen“.
„Dafür habe ich ja auch eine kleine Schere mitgenommen, du, das ist nicht so gefährlich“, sagte Marlene.

Nach gut einer Stunde hatten die Kinder die staatlichen Weinberge erreicht. Dort wartete bereits ein Traktor mit Anhänger auf sie, der sie das letzte Stück hinauf fahren sollte. Ein Riesenspaß war das jedes Mal. Die Sonne hatte sich mittlerweile durch den Morgennebel gekämpft. In der dunstigen, noch kühlen Luft war der süße Duft der Trauben zum Greifen nah. In der Ferne schlängelte sich das Silberband des Baches durchs Tal, Maisfelder leuchteten durchs rostige Laub und vereinzelt durchdrang der Ruf eines Kuckucks die Stille, die mit der Ankunft der Kinder jäh beendet wurde.


Ausgerüstet mit Weidenkörben übernahmen immer je zwei Kinder eine Reihe der Rebstöcke. Marlene arbeitete stets mit ihrer Freundin zusammen.

Wer würde heute die schönste, die größte Traube finden? Wer als erster seine Reihe abgeerntet haben? Flink griffen die kleinen Finger ins morgenfeuchte Weinlaub, legten zwischen den herzförmigen Blättern nicht selten ein glitzerndes Spinnennetz frei, Traube um Traube füllte die Körbe und ... die Mägen der Kinder, die essen durften, so viel sie wollten und konnten.
Bald schon kündigten Rauchschwaden die Mittagspause an.
Flink hatten die Jungen Spieße geschnitzt und schon scharten sich alle ums Feuer.

Niemals wieder hatte Marlene eine köstlichere Brotzeit genossen als jene im sonnenwarmen Weinberg, die, war sie auch noch so bescheiden, so doch um alle Farben und Düfte des Herbstes bereichert wurde. 

Kinderarbeit, dachte Marlene, während sie die letzte Beere an der Isar genoss, Kinderarbeit, was denn sonst?

In gewissem Sinne war es das sicherlich auch, was in ihrem Dortheim vor langer Zeit stattgefunden hatte. Doch so empfunden hatten sie es damals nicht, die Kinder, vielmehr als eine Art verlängerter Ferien.

Wie lange schon sind diese Erinnerungen nicht mehr zurückgekehrt, wunderte sich Marlene. Was so eine Weintraube an einem Septembermorgen nicht alles vermag, lachte sie und schritt vergnügt über die Wittelsbacher Brücke zurück in den Tag. 



/c/ Monika Kafka, 2009


Mittwoch, 5. September 2012

herbstwarm

/c/ dieter vandory, herbstlichtgefühl, 09/12







auf die spitze getrieben

setzt du das rufzeichen aus

eingerolltem sommer

raschelt die antwort

herbstwarm

liegen die felder

bedingungslos ergeben

einem fraglosen september

sonnenverklammert, punktgenau







/c/ monika kafka, 09/12

Freitag, 31. August 2012

Münchner Notizen




Dass die „Weltstadt mit Herz“ im Grunde genommen nichts anderes sei als ein großes Kuhdorf, diese Ansicht wird oft und gern vertreten. Und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand.

Seit dreißig Jahren lebe ich schon hier, achtzehn davon in einem Stadtteil, der, so kann ich mit Fug und Recht behaupten, besser ist als sein Ruf. Nicht nur, dass er über eine hervorragende Infrastruktur verfügt, er besitzt auch etwas, das in weitaus nobleren Vierteln eher Mangelware ist: nämlich Grün.

Vom elften Stockwerk aus ist dies besonders augenfällig: der Blick fällt nicht etwa in die Tiefe, sondern taucht ein in ein Meer aus vielschichtigem Grün. Die Bäume sind mittlerweile so hoch, dass die Betonfluchten darin wie Inseln scheinen, von denen nur der jeweils höchste Punkt noch sichtbar ist. Darüber hinweg fliegt das Auge bis zum Waldesrand und bleibt schließlich am Saum der Alpen unwiderruflich hängen. An Tagen, an denen der Föhn sein Spiel mit Wolken und kopfwehgeplagten Einwohnern auf die Spitze treibt, ist jede einzelne davon zu erkennen: ein wildgezacktes Band, durchschnitten von dunkelgeahnten Tälern.

Auf meinem Weg zur U-Bahn, die mich in weniger als einer Viertelstunde wieder ausspuckt mitten in der Stadt, gehe ich aber täglich an einem ganz anderen Wunder vorbei. Zwischen drei, zu Stoßzeiten relativ befahrenen Straßen und einem großen kastanienbepflanzten Platz, auf den sich vereinzelt Robinien eingeschlichen haben und der wochentags als Parkplatz dient, liegt ein Stück Land, das offenbar niemandem gehört. Was natürlich nicht sein kann, denke ich mir, weil doch immer alles irgendwem gehört. Ich hab mich bisher nicht getraut, dem nachzuforschen, vielleicht aus Angst, dass sich vielleicht Besitzansprüche schneller klären, als mir das lieb wäre. Man weiß ja nie, in welches Wespennest man gerade sticht. Es handelt sich um eine Wiese, die erst zum Sommerende wenn überhaupt gemäht wird. Nie ist es mir gelungen, den Zeitpunkt zu erwischen, da sich dort jemand den Mühen dieser Arbeit unterzieht. So oft ich auch darauf geachtet habe: an einem Tag ist sie noch da, am nächsten – weg.
 
Wenn nach langen Wintertagen und feuchtem Schmuddelwetter der Boden langsam sich begrünt, ist es an der Zeit für mich, hier offeneren Auges vorbei zu gehen. Den Schritt zu zügeln. Die Luft bewusster einzuatmen. Um wahrzunehmen, wie früh oder wie spät es tatsächlich ist im Jahr.

Zwischen hellgrünen Gräsern schimmert als erster vereinzelt Huflattich, dicht gefolgt von Hahnenfuß und Wiesenveilchen. Und wenn die Sonne gnädig ist, verwandeln bald schon Löwenzahn und Margeriten, Taubnesseln und Glockenblumen das Stückchen Land in einen buntbestickten Teppich, an dessen Rand, zur großen Straße hin, Holunderbüsche auf ihren Einsatz warten. Dazwischen ranken Heckenrosen mit ihren filigranen Blüten. Es flügelt und flattert, summt und brummt, hörbar durchaus. Im Wettstreit mit Motorenlärm, der sich hier wie durch ein Wunder noch in annehmbaren Grenzen hält.

Jetzt, im Juli, nach reichlich Regen und ein paar sengendheißen Tagen, wuchern wilde Möhre, Schafgarbe und Rosenmalve. Hüfthoch stehn die Gräser, wogend im leichten Wind, der Klee wird schier erdrückt. Und wenn nach einem Schauer der Boden dampft, liegt dieser unverwechselbare Duft von Sommer in der Luft, von Kindheit und von einem fernen Garten, den es lang schon nicht mehr gibt.

Wie groß mag sie denn sein, die wilde Wiese? Ich weiß es nicht, ich war schon immer schlecht im Schätzen. Jedenfalls scheint sie mir groß genug, um irgendwann bebaut zu werden mit einem unnütz Ding. Doch Jahr für Jahr vergeht und nichts geschieht. Sie lebt und blüht und wuchert. Vielleicht auch nur für mich.
In diesem Kuhdorf, meinem München.






/c/ Monika Kafka, 08/12