schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Sonntag, 22. Januar 2012

federträume


/c/ dieter vandory, nur einen moment, 2012




dein nachtauge, schmal
umrandet von gefiederten

träumen, entlang der lidfalte
will ich wachen und

im graulicht des morgens dir
erzählen, was du nicht mehr weißt




/c/ monika kafka, 01/12

Sonntag, 15. Januar 2012

vanitas

Als ersten Gast im Neuen Jahr begrüße ich auf meinem Blog die Autorin, Fotografin und Malerin
Isabella Kramer http://veredita.blogspot.com/


1957 in der Lüneburger Heide geboren, lebt sie heute in Celle / Niedersachsen.


Von frühester Jugend an dem Wort und den Farben eng verbunden, schreibt sie Lyrik und Kurzprosa, die sie oft mit eigenen Aquarellen oder Fotografien illustriert.


Es ist der Blick auf das Kleine, Unscheinbare, den sie festzuhalten sucht.
"Der Blick, abseits des Weges, die Sicht auf die Kleinigkeit, auf das Detail", ist eines ihrer Anliegen, "weil gerade das, was unbedeutend erscheint oft mit Hoffnung und Wandlung verbunden und damit von großem Wert ist".


Isabella Kramer hat in mehreren Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht und arbeitet derzeit an ihrer ersten eigenen Publikation.





/c/ Isabella Kramer, 2012





am ende deckt das meer
mit weichen tüchern
die letzten reste lebens
tröstend zu


schließt so den kreis
und öffnet ihn ins morgen
fragt nicht nach sinn
sagt einfach nur: es sei





/c/ Isabella Kramer, 2012
  

Freitag, 6. Januar 2012

Traum_Wanderung


/c/ Dieter Vandory, Verschlungene Wege, 2012









Nachts mache ich mich manchmal auf den Weg.
Im Schutz der Dunkelheit suche ich nach etwas, was es nicht mehr gibt.
Ich werde also niemals ankommen, aber das ist ganz gut so.
Ich kann niemals enttäuscht werden. Laufe keine Gefahr, als Fremde vor einem fremd gewordenen Ort zu stehen. Als eine, die aus der Zeit und der Szene gefallen ist.

Ich gehe langsam. Lausche, rieche, schmecke.

Im Winter den brandigen Geruch von Holzfeuer über schneebedeckten Tannen. Das tiefe Stöhnen des Waldes. Den verirrten Flügelschlag eines Vogels. Und ich sehe einen Himmel, der es aufgegeben hat, seine Sterne zu zählen. Ich verliere mich regelmäßig darin.
Meine Beine werden seltsam schwer und ich versinke, bevor ich das Dorf erreichen kann.

Im Sommer aber, wenn der Wald die warmen Tage ausatmet und der Boden den Schritt federt, kann es gelingen. Dann sehe ich das Kind auf dem altmodischen ausgeklappten Sessel wieder. Durchs geöffnete Fenster rauscht der Maulbeerbaum den Sonnentag in die kleine Stube. Greift mit seinen Armen nach dem krank daliegenden, als wolle er es hinaus ziehen. Zu den gackernden Hühnern und schnatternden Enten. Zu den Blumen und dem frechen Jakob, den Großmutter durch den Winter gebracht hatte. Sein Flügel war verheilt und bald würde er wieder zu den anderen Raben zurückkehren. Solang Großmutter noch mit ihm schimpft und danach unbekümmert ihre Lieder in der Küche singt, weiß das Kind, dass die Welt in Ordnung ist. Trotz Ziegenpeter und Kamillentee.
Ihre Stimme legt sich samtig um den schmerzenden Hals, glättet die rissigen Wunden, und aus dem Märchenbuch steigen später die Feen und Zwerge herauf und nehmen das Kind mit in ihr Reich.

Und dann kommt Mutter. Mit ihren Gesundmachhänden, die sie unter der Woche anderen Kranken leiht, schiebt sie die Fieberträume wie einen Vorhang zur Seite. Sie perlen von der heißen Stirn und der kühlende Atem vertreibt jeden Schmerz.

Nachts mache ich mich manchmal auf den Weg.
Heut ist es wieder soweit.
Ob Mutters Hände mich ein Mal mehr heilen können?



/c/ Monika Kafka, 01/12


Sonntag, 1. Januar 2012

verstummen

/c/ dieter vandory, und unten bleibt die stille, 2012








irgendwann wurden ihre worte immer kleiner.
und kleiner. und kleiner.


dann würgte sie silben.
schließlich erbrach sie buchstaben.


am schlimmsten aber waren die zeichen.

die widerhakenden frage ~  ritzten ihre kehle.
die ausrufe zerschnitten ihre stimme.


am ende erstickte sie beinahe.
an einem punkt.

es heißt, sie lebe heute in einem haus aus papier.
die wände seien durchsichtig.
und es fiele schnee.



/c/ monika kafka, 01/2012


Mittwoch, 28. Dezember 2011

Unverhofft


/c/ Dieter Vandory, zwei, 2011




„Darf ich noch reinkommen?“
Ihr schwarz umrandeter Blick stolperte den Worten hinterher. Fiel durch den Türspalt auf meine Schuhe. Hangelte sich langsam hoch, bis er meinen fand. Und setzte sich darin fest.
Ich öffnete die Tür. Müde löste sich ihr schmaler Rücken vom Rahmen. Ich trat ein paar Schritte zur Seite und ließ sie ein. Treten in mein für ein paar Tage geborgtes Domizil. Sie bewegte sich nervös, fast ungelenk. Der Mantel sprang auf und ich sah, dass sie darunter noch das kleine Schwarze trug. Sie hatte sich also nicht umgezogen nach ihrem Auftritt.
Ich schloss die Tür. Ging zur Bar und goss mir langsam einen Whiskey ein.
„Willst du auch einen?“, fragte ich mit belegter Stimme.
Sie nickte nur, während sie Mantel und Handtasche aufs Sofa gleiten ließ. Ging aufs Fenster zu.
„Schöne Aussicht von hier oben“, sagte sie und lächelte, „wäre es nicht schon dunkel.“
„Ja, und jetzt ist sie wenigstens nicht mehr laut.“ Ich lachte heiser. Räusperte mich.
„Hier, dein Whiskey.“
Wir prosteten uns zu.
Ihre Finger, diese feingliedrigen samtumhüllten Kunstwerke. Sie hatten Spuren auf meiner Haut hinterlassen. Niemals zu Ende gegangene Wege. Wege durch Gletschereis und Wüstensand. Immer schön abwechselnd, dachte ich bitter. Schluckte tief und trocken. Brannte das Getränk meine Kehle hinunter. Und die Frage, was will sie? 
Als ihre Lippen das Glas berührten, färbte sich die Stille rot. Und ihre Augen lagen darin wie glimmende Kohle. „Das ist gut“.
Sie nickte anerkennend der goldgelben Flüssigkeit zu.
„Schön, dass du gekommen bist“, sagte sie unvermittelt. Drehte sich kurz weg, um das Glas auf dem Schreibtisch abzustellen. Als sie danach meinen verständnislosen Blick auffing, fügte sie hinzu: „Zum Konzert, meine ich.“
„Du warst phantastisch“, entgegnete ich. „Unglaublich, wie deine Stimme gereift ist. Die tiefen Töne vibrieren förmlich. Sie sind rund und doch rau, man kann Abgründe dahinter erahnen.“
Sie winkte ab. „Ach was, in Wahrheit bin ich einfach nur alt geworden und muss mein Repertoire danach ausrichten. Aber es freut mich dennoch, dass es dir gefallen hat. Und woran arbeitest du gerade?“, fragte sie und deutete auf meinen Laptop. „Ich habe dich doch hoffentlich nicht gerade dabei gestört, deinen Protagonisten ins Jenseits zu befördern?“
 Der leise Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Ich habe einen neuen Gedichtband publiziert, deshalb bin ich auch in dieser Stadt. Der Verlag ist der Ansicht, dass Signierstunden dem Verkauf förderlich seien … Na ja, davor lese ich natürlich auch. Du siehst“, sagte ich, „der Zufall hat uns zusammengeführt nach so langer Zeit. Der Zufall und die Kunst.“
„Ist das nun gut oder schlecht? Ich meine, glaubst du an die Strategie des Verlags?“
Sie blickte mich lauernd an. Ich war überzeugt, sie hatte längst bemerkt, dass meine Selbstsicherheit nur eine gespielte war. Dass meinen Lippen Worte entkamen, die nicht mit meinen tatsächlichen Gedanken überein stimmten. Bevor ich antwortete, nahm ich einen tiefen Schluck von meinem Whiskey. Er war in meiner Hand bereits warm geworden.
„Ja, warum auch nicht?“, flüsterte ich und sah sie unverwandt an.
„Ich müsste mal … dringend“, sagte sie und blickte sich fragend um.
„Geradeaus und dann links“, antwortete ich und ließ mich auf die Couch fallen. Hoffte, die kurze Zeitspanne, in der sie nicht anwesend war, nutzen zu können. Meine Gedanken zu sortieren, die längst nicht mehr um die Frage kreisten, was sie denn eigentlich wollte. Sondern darum, wo ich in dieser Situation stand. Und meine Pappmacheebeine zu entlasten. Das war doch nicht möglich, dachte ich immer und immer wieder.
Wie zerbrechlich sie doch wirkte. Und abgespannt. Wie nach einem langen beschwerlichen Weg, der nichts mit dem heutigen Auftritt zu tun hatte. Ich wusste um ihre Schatten. Um ihr Straucheln. Ihre Verzweiflung. Wir waren einander nah geblieben. Im Wort. Und den Rest erfuhr ich aus der Presse. Die war ja schon immer gnadenlos. Das wusste ich mittlerweile selbst zur Genüge.
Ich stand auf, schenkte mir nach. Wunderte mich. Sie blieb schon zu lange weg. Die Tür zum Bad war nicht ganz geschlossen. Alles in Ordnung, fragte ich und spähte hinein. Sie stand aufgestützt am Waschbeckenrand, den Blick im Spiegel verloren. „Endlich“, sagte sie und drehte sich langsam um.
Ihre Lippen schmeckten nach Walderdbeeren und bitterem Verzicht. Meine Hände legten die Röte frei. Blattunter nistete die Wärme des Wüstensandes. Ließ Gletscher schmelzen. Ihre Brüste wölbten sich mir entgegen. Und in unseren Atem mischte sich die Melodie des ewigen Windes, der Glimmendes entfacht zum zügellosen ...
Es klopfte.
„Ihr Taxi, Madame, es wartet.“
Amy Sörensen klappte das Buch zu, ergriff ihren Koffer und verließ das Hotelzimmer.



/c/ Monika Kafka, 12/2011

Freitag, 23. Dezember 2011

Ich wünsche ...

/c/ Monika Kafka, 2011




... allen meinen LeserInnen
Frohe Weihnachten und
ein gesundes Neues Jahr 2012!

Eure MOnika

Mittwoch, 21. Dezember 2011

klage

/c/ dieter vandory, verneigung vor dem licht, 2011





Mutter, es heißt
bald sei wieder weihnacht
und aufgerüstet wird zum fest


die warnungen vor terror werden
dichter_verleumdung sprießt
und unverhohlen hass


vereist sind mir die wege und bunt
nur wünsche in den bäumen
im kranz erstarrt

die eingeflochtnen worte
der engel friert auf deinem grab


ein jämmerlicher wind
geht durch die herzen löscht
eins ums andere der lichter aus


Mutter,
bald ist wieder weihnacht und ich
kann nimmermehr nach haus





/c/ monika kafka, 2011

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Cheb - Eger, 1994 - Claus Stephani

Gast auf meinem Blog ist im Dezember der Ethnologe, Schriftsteller, Kunsthistoriker und Journalist Dr. Claus Stephani.
Im siebenbürgischen Kronstadt geboren, verließ er 1990 seine Heimat und lebt seither bei München.
Seine zahlreichen Publikationen - ob Lyrik, Prosa, Oral History, Märchen, Sagen - beweisen jedoch, dass er wie kein Zweiter eigentlich beheimatet ist im Wort.
Ihm hinterher zu lauschen, es abzuklopfen, stets zu hinterfragen ist seine Lebensaufgabe. Und es sind meist die leisen Töne, die Zwischenklänge, die in den Texten von Claus Stephani einen Zauber entfalten, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Sein letzter Roman, Blumenkind, ist im SchirmerGraf Verlag, 2009 erschienen.





/c/ Dieter Vandory, verbunden mit dem eigenen Schatten, 2011




  

    

Cheb – Eger, 1994

oder Meth und Emeth


Von Claus Stephani



     Aus der Stadt führt eine Straße den Berg hinauf. Sie windet sich vorbei an Häusern, die immer noch dastehen, als wären sie Bettler. Es ist eine Straße, auf der viele Autos fahren, auch solche mit fremden Kennzeichen, und irgendwann führt diese Straße an einem Friedhof vorbei.
     Wer es eilig hat, sieht links hinter verfallenem Gemäuer hohe dunkle Bäume, und dazwischen im wuchernden Gesträuch Grabsteine, vereinzelte graue Steine wie Schatten.
     Wer es nicht eilig hat, kann jetzt kurz abbiegen und bis zu einem Tor fahren, das meist offen steht und auf Menschen wartet – solche, die kommen und gehen, und solche, die bleiben.
     Dahinter liegt nämlich ein Ort der Ruhe, wie es früher im Osten hieß, ein Ort, wo jene ruhen sollten, die diese Welt verlassen mussten, unfreiwillig oder freiwillig, um hinüber zu gehen, hinüber – das ist die andere Welt, die man nicht kennt, wo man aber, heißt es, bis zum Jüngsten Tag in Frieden ruhen kann.
     Wer es also nicht eilig hat, der sollte hier anhalten, es gibt genügend Parkplätze, und er kann dann auch auf den Friedhof gehen, dem Ort des Friedens, wo die Tschechen ruhen – Tschechen mit tschechischen Namen, Tschechen mit deutschen Namen, mit tschechischen Vornamen und deutschen Nachnamen, und auch umgekehrt, in vielfältiger Schreibweise. Alle liegen sie da, nebeneinander und einträchtig.
     Was sollten sie auch anderes tun? Das, was sie einst zu Lebzeiten getan haben – wer kann darüber noch etwas sagen? Hoffnungen, Ängste, Freude und Liebeskummer, alle diese wichtigen Dinge haben sie mitgenommen, und zurückgeblieben ist eine Inschrift, zwei Worte, die man jenen mitgibt, die mit leeren Händen diese Welt verlassen, so, wie sie einst ihr Licht erblickt hatten, nackt und hilflos – zwei Worte, ein Wunsch, ein Versprechen: Ruhe sanft!
     Wer es aber immer noch nicht eilig hat, kann hier über dieses und jenes nachdenken – beispielsweise darüber, dass die meisten gepflegten Gräber erst in den letzten fünfzig Jahren angelegt wurden. Und er kann dabei zwischen Blumen und Gräberreihen auf breitem Kiesweg weitergehen bis zu den dunklen Bäumen – ich sah sie zuvor, als ich wie beiläufig aus dem fahrenden Auto blickte. Und dort, man kann es kaum erkennen, war bis vor nicht allzu langer Zeit auch ein Ort des Friedens und der Ruhe: ein deutscher Friedhof.
     Zuerst kommt man an einigen mächtigen Grüften und Grabmalen vorbei, und da gibt es noch Bruchstücke von deutschen Namen, Teile von Inschriften, einzelne Worte. Sie stehen da wie offene Hände, die niemand mehr anfassen will und die sich nicht mehr schließen können, weil sie niemandem mehr gehören.                                                            
     Wer dann noch einige Schritte weitergeht, betritt ein kahles Feld, wo kein Gras wächst, weil die Erde erst vor kurzem aufgeschürft wurde. Und plötzlich wird eines deutlich: Es sind Gräber, über die man geht, Gräber, Gräber, Hunderte von Gräbern, dazwischen Teile und Teilchen von Grabsteinen, Holzstücke, Teile von Särgen, Knochen, Teile von Menschen – Menschen, die einst hier mit dem Spruch „Ruhe in Frieden“ verabschiedet worden sind.
     Wo aber ruhen nun jene viele sanften Toten, deren Gräber ein Bagger eingeebnet hat? Ein Bagger, der im Schatten der Bäume verschnauft und erschöpft vor sich hin rostet. Und gleich daneben ein Haufen von Bruchstücken, die einst Grabsteine waren, ein Haufen zerbrochener deutscher Namen, die hier warten, um als Schutt oder Sondermüll weggeschafft zu werden.
     Meth und Emeth heißt es auf Hebräisch, zwei Worte, die sich durch einen einzigen Buchstaben unterscheiden, weil zwischen Tod und Wahrheit ein schmaler Graben verläuft, keine Grenze, denn Grenzen werden von Menschen errichtet, nur ein schmaler Graben, manchmal kaum sichtbar, der trennt, aber auch verbindet.                                                           
     Wo der Tod ist, das wissen wir: Er ist überall dort, wo auch Menschen sind. Wo aber ist die Wahrheit, die hier von einem Bagger beiseite geschoben wurde? Oder sollte Meth, der Tod, selbst ausgelöscht werden, wo doch nur er allein alles, auch das Gedächtnis, die Erinnerung auszulöschen vermag? Eine Tat, die den Tod ungeschehen machen möchte, indem sie ihn aus dem Zeitgeschehen hinausbaggert? Und wenn es hier keinen Tod gegeben hat, dann war ja hier auch kein Leben.
     Wer es bisher nicht eilig hatte, sollte nun nicht einfach umkehren, denn er kann hier, auf eingeebneten Gräbern stehend, still verweilen. Er kann dabei auch eine Zigarette rauchen, wie es gerade der Friedhofsgärtner tut. Er kann dastehen oder herumgehen, so lange es seine Zeit erlaubt. Er könnte aber auch einmal versuchen, ein wenig nachzudenken über Meth und Emeth, hier am Ort der Ruhe, der Wahrheit, des Friedens.
     Von der nahen Straße hört man laute Autos, die den Berg hinunter rasen und einander an Arroganz überbieten. Aus den Bäumen fällt unentwegt Vogelgezwitscher. Ein sanfter Sommer ist ins böhmische Land gegangen. Der Friedhofsgärtner ruft etwas in die Richtung der gepflegten Gräber, wo ein Mann mit einem Rechen hantiert. Und nur aus der verwundeten Erde unter unseren staubigen Schuhen kommt, man kann es fühlen, das endlose, schmerzliche Schweigen.


(Aus dem Tagebuch Böhmische Marginalien, 1993-1995.)

Samstag, 10. Dezember 2011

was noch zu sagen wäre ...

/c/ dieter vandory, flumsel, 2010



ein kaltmond
schlägt sein rad um und um
gewendet wird die nacht
bis selbst im traum
nur eisworte erblühn

was nicht gesagt wird
hält wort bei tag




/c/ monika kafka, 2011

Montag, 5. Dezember 2011

zwischenwÖrtlich - eine gemeinschaftsarbeit diana jahr & monika kafka

/c/ dieter vandory, gefangen im licht, 2011



schatten tanzen
im innern
schneesturm


verlöscht
die wortkerzen
am tor zur nacht, grau


erhebt sich
duft aus weiß
durchsichelt das zwielicht


und du denkst dich, weit
ins kristallland
der träume




/c/ diana jahr und monika kafka, 12/2011

Montag, 28. November 2011

zum beispiel


/c/ dieter vandory, ruhe und wut, 2010


ausspähen
die nacht und ob
sich was schreiben ließe
gegen den faltenwurf
der dunkelheit ein zeit-
wort setzen schwach, gebeugt
lieben
zum beispiel



/c/ monika kafka, 11/11

Dienstag, 22. November 2011

Ein alter Reisepass



Schlammiges Braun verziert mit goldenen Lettern. Selbst nach einem Vierteljahrhundert hat er nichts von seiner Scheußlichkeit verloren. Und dennoch war er einmal wertvoller als alles Gold dieser Welt.
Kraftvoll atmet mir auch heute noch das Papier entgegen. Ich rieche Armut, Angst und Tränen. Lauter Dinge, die es unter dem eingeprägten, ebenfalls goldenen Staatswappen offiziell nicht gab.

Mit spitzen Fingern durchblättere ich die Zeit und sehe die vielen vorgehaltenen Hände wieder, hinter denen sich der Unaussprechbare in ungenauen Flüsterworten verbarg: ihn hatte man beantragt, bekommen oder nicht, er war wieder in weite Ferne gerückt, man erwartete das Dokument in den nächsten Tagen, Monaten, Jahren, es war endlich da! Und manchmal musste man auch gar nicht flüstern. Manchmal genügte ein Schrei oder ein Leuchten der Augen, damit es alle wussten.

Ich höre mich immer noch schreien, wenn ich an jenen Tag zurückdenke, an dem ich ins Foyer des Studentenwohnheims, zu dem einzig verfügbaren Telefon gerufen wurde. Mutter sprach leise, sehr leise, so als ob die Abhörgeräte damit außer Betrieb gesetzt werden könnten. Beschwörend klangen ihre Worte. Ganz ruhig, mein Kind, bleib ganz ruhig, verstehst du mich, sagte sie. Aber ja doch, ja, ja, antwortete ich und wagte kaum zu atmen.
Wer ist gestorben, Mama?
Unsere Vergangenheit, mein Kind, sagte sie mit tonloser Stimme. Ich verstand immer noch nicht, vielleicht weigerte ich mich auch nur, zu begreifen, wieso war sie so gefasst, fragte ich mich stattdessen, wenn es doch offenbar etwas zu beklagen gab.

Seit wann verwendet Mutter eine metaphorische Sprache, wenn sie mit mir spricht, wunderte ich mich gerade noch, als sich mit einem Mal dieser Schrei löste, dieser hab-alles-begriffen-Schrei. Fiel durch den Hörer zu Mutter, die ihn nicht halten konnte, kehrte zurück, prallte an die Wände und landete schließlich wie ein Echo hundertfach verteilt mitten unter den redenden und lachenden Studenten.
Die plötzlich eingetretene Stille starrte mich aus wissenden Augen an.

Ich zitterte, während ich weiterhin versuchte, Mutters Stimme zu folgen, ihren Worten Inhalte zuzuordnen, ich erinnerte mich an signifiant signifié aus den Linguistik Stunden, das muss doch irgendwie klappen, dachte ich, und verstand doch nur, was mein Herz mir in die Schläfen trommelte: Du bist frei!

Was diese Freiheit bedeutete, sollte mir allerdings erst klar werden, als ich den Pass an einem nasskalten Novembertag in Empfang nehmen durfte. Und was sie gekostet hatte, das erfuhr ich Jahre später.

Ich durchblättere mit spitzen Fingern die Zeit.
Nichts ist verblasst im Laufe eines Vierteljahrhunderts.
Nicht die ungelenke Unterschrift, die ich damals mit blauer, chinesischer Tinte und feingliedrigem Füller, einem Geschenk meines Vaters, geleistet habe.
Nicht der Satz, der mich gleich in drei Sprachen für vogelfrei erklärte: rumänisch, russisch und französisch. Pour personnes sans citoyenneté  steht unverrückbar da, was so viel bedeutet, als dass ich nirgendwohin mehr gehörte. Und auch nicht die eingestempelten Durchreisevisa der Länder, die ich bis dahin nur dem Namen nach kannte.
Alles ist immer noch deutlich lesbar wie am Ausstellungstag.
Ich trug es, dieses heute noch stinkende Golddokument, in den nächsten Tagen und Wochen stets wie eine Trophäe bei mir und genoss meinen vorerst größten Triumph: eine Nacht im ausschließlich den zahlungskräftigen, ausländischen Studenten vorbehaltenen Wohnheim, in dem mein damaliger Freund wohnte.

Und was diese neue Freiheit denn nun gekostet hat?
Geld, das für Pass und Visa, für den Verzicht auf die eine Staatsbürgerschaft und den Erwerb einer neuen gezahlt wurde, lässt sich zählen. Selbst mit Gold nicht auszugleichen bleibt allerdings dieses lebenslange Gefühl, wie eine Ware verschachert worden zu sein. Und dabei etwas verloren zu haben. Etwas, was gemeinhin als Heimat bezeichnet wird.

Heute lebe ich in einer süddeutschen Stadt, von der ich einst großzügig adoptiert worden bin, besitze keinen gültigen Reisepass mehr und kenne dennoch mittlerweile eine Vielzahl von Ländern – nicht nur dem Namen nach.
Und im Übrigen versuche ich neuerdings, mich in einer Art inneren Heimat einzurichten, der einzigen wohl, die man nicht wieder verlieren kann, denke ich an guten Tagen, aber das ist dann wiederum eine andere Geschichte.



/c/ Monika Kafka, 2011