schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Sonntag, 8. Dezember 2013

als ob sich etwas sagen ließe








und über die gräber geht
 
der wind im winterkleid

hängen trotzig vereinzelte
 
worte in magerem geäst
 
 
als ob sich etwas sagen ließe –


 da ist nur der gesang
 
der stille um dich
 
und dieser flügelschlag
 
erinnerter zeit






/c/ bild und text: monika kafka, 12/13


Donnerstag, 5. Dezember 2013

Die Adventsuhr


Kein Räderwerk. Keine Ziffern. Und nur ein einziger Zeiger.
Wenn Mutter die bemalte und lackierte, quadratische Holzplatte aus dem Keller holte und an der Wand über meinem Bett befestigte, tickte sie mir dennoch die Zeit.
Dann konnte ich täglich sehen, wie weit Weihnachten noch entfernt war.

Es gab keine Schokolade, die ich jeden Morgen aus kleinen Vertiefungen hätte holen können und keine kleinen Spielsachen, die sich in kunstvoll bestickten Säckchen oder verzierten Holzdöschen versteckten und darauf warteten, entdeckt zu werden. Es gab nur kleine Abbildungen von Spielsachen, hin und wieder auch von Tieren in einem Winterwald, zum Nikolaustag natürlich einen Nikolaus und ein paar versprengte Engel. An den vier Ecken der Adventsuhr leuchteten Kerzen im Tannengrün – erst eine, dann zwei, dann drei. Und wenn der Zeiger ganz oben, bei den vieren angekommen war, wusste ich, dass das Warten ein Ende hatte.

Bis dahin jedoch galt es, den Zeiger jeden Tag einen Strich weiter zum nächsten Bild zu schieben und sich dieses auch zu merken, weil es zuweilen geschah, dass er, aus für mich damals unerklärlichen Gründen, verrutschte. In Wahrheit lockerte sich entweder seine Befestigung an der Rückseite der Holzplatte oder mein vier Jahre jüngerer Bruder hatte die Finger im Spiel. So kam es, dass ich sogar mehrmals täglich nachschaute, ob sich auch nichts verändert hatte. Insgeheim jedoch hoffte ich, dass vielleicht doch einmal ein Wunder geschehen könnte und das hieß für mich ganz konkret, dass der Zeiger plötzlich bei den vier Kerzen stehen und Mutter sagen würde, heute Abend kommt das Christkind.
So sehr ich mir das damals auch gewünscht haben mag, es ist natürlich nie eingetreten.
Das mit den Wundern war halt schon immer so eine ganz besondere Sache.

Was aus dieser Adventsuhr geworden ist, weiß ich nicht. Sie war eines Tages zusammen mit dem Kind verschwunden. Doch auch heute noch halte ich auf jedem Weihnachtsmarkt Ausschau nach ihr, aber selbst etwas Ähnliches hab ich bisher nicht wieder gefunden.



/c/ monika kafka, 12/13


Montag, 25. November 2013

danse macabre








es rockt der wind
zum totentanz der blätter
spielt sich hinauf
zum allerletzten ast

durchkrächzt von schwarz-
gefiederten gesellen
vibriert die luft
im schaurigbunten takt

und unter brücken
rücken die zusammen
deren existenz vergeigt

der wind rockt satt
übers geländer für sie
die letzten dünnen blätter ab







/c/ bild und text: monika kafka, 11/13

Freitag, 22. November 2013

Sprachgenie

Der Beamte nickte uns freundlich herein.
An diese Freundlichkeit hatte ich mich immer noch nicht gewöhnt, obwohl ich schon durch einige Amtszimmer gegangen war. Dieses sollte nun das letzte sein, wie ich dem Laufzettel entnehmen konnte, den man mir frühmorgens bei der Anmeldung im Durchgangslager ausgehändigt hatte.

Die Außenseite der weißen Resopaltür zierte ein Schild, darauf stand „Deutschtest“, an der Innenseite hing ein ABC-Poster. Es gab ein paar Regale voller Aktenordner, einige Bücher, darunter ein paar Bände aus der Dudenreihe sowie fremdsprachige Wörterbücher. Ferner einen kleinen Schreibtisch, hinter dem der Beamte wieder Platz nahm, nachdem er meine Familie und mich lächelnd begrüßt hatte, ein paar Stühle, die offenbar für uns bereit standen. Wir setzten uns.
Eine gestäbte Sonne mühte sich, den Raum im Untergeschoss aufzuhellen an diesem späten Januartag, was ihr nur mäßig gelang.

Mein Blick blieb am Rechtschreibduden hängen, der sich in Format und Farbe von meinem eigenen Exemplar unterschied. Bevor ich mich jedoch in Gedanken darüber verlieren konnte, inwiefern ein geteiltes Land auch eine geteilte Sprache habe, sodass ein Ost- bzw. Westduden gerechtfertigt sei, fragte der Beamte: „Verstehen und sprechen Sie deutsch?“, und traf damit mitten in meine Überlegungen.
„Kommt darauf an, welches Deutsch Sie meinen“, platzte es aus mir heraus, „Ost- oder Westdeutsch“.
„Marlene“, zischte Mutter und sah sich hilfesuchend nach Vater um, der schon wieder diesen verlegenen, etwas zu unterwürfigen Blick aufgesetzt hatte, den ich so gar nicht mochte an ihm, auch wenn ich wusste, wie er im Laufe von vielen Jahren in einem totalitären Regime entstanden war. Ich wollte ihn stark und selbstbewusst sehen, verdrehte die Augen und schwieg.

„Selbstverständlich verstehen und sprechen wir deutsch“, hörte ich ihn leise sagen.
„Wissen Sie“, antwortete der freundliche Beamte, „selbstverständlich ist das nicht. Ich habe hier täglich mit Menschen zu tun, mit Volksdeutschen aus Russland etwa oder aus Polen, die ihr Deutsch nicht pflegen durften, verstehen Sie?“
„Aber wir kommen aus Siebenbürgen, da beherrschen alle die deutsche Sprache, und zwar in Wort und Schrift. Schließlich hatten wir dort deutsche Kindergärten und Schulen“.
Ich konnte einfach nicht den Mund halten, auch wenn mich dafür wieder ein böser Blick von Mutter traf.

Der Beamte hingegen ignorierte meinen Einwand, blieb weiterhin freundlich, lehnte sich zurück und nahm sich eines der bereit liegenden Formulare vor. Zeile für Zeile ging er es mit uns durch, füllte Namen und Geburtsdaten aus, notierte, was wir ihm über Schulbildung und Studium sagten, über Leben und Arbeiten in jenem für ihn so fernen Land hinter den Wäldern. Er war interessiert und begierig, viel zu erfahren, ich entspannte mich und merkte erst allmählich, dass wir mitten in einem angeregten Gespräch steckten, als mir plötzlich wieder das Schild an der Tür einfiel.
„Und was müssen Sie jetzt testen? Haben Sie Arbeitsblätter zu Grammatik und Wortschatz?“ Sein Lachen war so herzlich, dass es ansteckend wirkte. Und befreiend.
„Wir haben also bestanden?“, fragte ich, jetzt doch ein wenig kleinlaut.
„Wissen Sie eigentlich, was es für ein Glück bedeutet“, sagte er abschließend, „dass Sie in einem Land gelebt haben, in dem es Ihnen immerhin gestattet war, Ihre jahrhundertalte Tradition zu bewahren und zu leben, wenn auch nicht immer offen. Und dass Sie das Privileg hatten, über die Sprache stets verbunden zu bleiben mit dem deutschen Kulturraum. Sie werden Ihren Weg hier finden und gehen- da bin ich mir sicher“.

Mein Weg führte mich zunächst einmal zurück nach München und fünf Monate später an die Universität. Ich nahm mein in Siebenbürgen begonnenes Studium wieder auf, doch sollte es eine ganze Weile dauern, bis ich mich im Dschungel einer Großuniversität zurechtgefunden hatte. Und abgefunden mit so manchem Vorurteil, das der Unwissenheit entsprang, selbst unter gebildeten Menschen.

Eines Tages stand ich wie so mancher Studienanfänger vor dem Schwarzen Brett des Romanistikinstituts und versuchte verzweifelt, herauszufinden, in welches Seminar ich zu gehen hatte und wo in diesem Labyrinth aus Gängen und Hörsälen sich nun der Raum befand, in dem die Lehrveranstaltung stattfinden sollte. Die junge Frau neben mir nahm ich erst wahr, als sie mich ansprach. Wir stellten fest, dass wir in den gleichen Grammatikkurs wollten und dass noch genügend Zeit für einen Cafeteriabesuch war. Wir plauderten über dies und jenes und es dauerte nicht lang, bis sie mich fragte, woher ich denn käme. Ich hätte so einen eigenartigen Akzent, den sie aber nicht zuordnen könne. Und ich erzählte. Bereitwillig und ausführlich. Auch sie hörte interessiert und begierig zu, zumindest meinte ich das, nur um dann am Ende erstaunt zu fragen: „Und wie lang, sagst du, bist du nun in Deutschland? Fünf Monate? Unglaublich, dass du in so kurzer Zeit dermaßen gut Deutsch gelernt hast“.
Wir wurden trotzdem Freundinnen, auch wenn ich nach zehn Semestern gemeinsamen Studierens immer noch die Rumänin für sie war. Ich hatte es irgendwann einfach aufgegeben, zu erklären, aufzuklären. Und das nicht nur bei ihr.
Ich kam abwechselnd aus allen möglichen Gegenden Deutschlands, je nachdem wo mein Gegenüber meinen angeblichen Dialekt ansiedelte und es machte mir immer seltener etwas aus. Ich wunderte mich nur, still und heimlich, amüsierte mich gelegentlich und ließ es gut sein.

Als mir jedoch ein Jahr nach meiner Einreise in dieses Land in einer feierlichen Zeremonie die Einbürgerungsurkunde im Rathaus überreicht wurde und ein wiederum sehr freundlicher Beamter am Ende in breitem Bayrisch freudig anmerkte, wie gut ich doch Deutsch gelernt hätte in dieser doch relativ kurzen Zeit, konnte ich mir nicht verkneifen ihm zu antworten:
„Ja mei, is hoid ned a jeder a Sprachgenie, gell?“




/c/ monika kafka, 11/13