schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Mittwoch, 2. März 2011

Claus Stephani - Aus aktuellem Anlass - II

Es hört und hört nicht auf!
Obwohl das Landgericht München erste Schritte unternommen hat, gehen die Verdächtigungen und medienwirksam inszenierten Kampagnen gegen Claus Stephani weiter.
Im folgenden gebe ich hier eine weitere Stellungnahme wieder.
Weder die Neue Zürcher Zeitung noch die Siebenbürgische Zeitung wollten diese Entgegnung Stephanis abdrucken.
Der Leser möge sich sein eigenes Urteil bilden.

Wer war eigentlich IM „Marin“?
Eine Stellungnahme zu einer neuen „Enttarnung“

In der letzten Ausgabe der Siebenbürgischen Zeitung vom 20. Februar 2011 wurde verkündet: „IM ‚Marin’ als Claus Stephani identifiziert“.
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Diese Nachricht stützt sich auf eine briefliche Mitteilung von Dr. Dragoş Petrescu, Vorsitzender der C.N.S.A.S., an Richard Wagner, veröffentlicht im „blogspot“ der „Halbjahresschrift“:
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Diesem Brief sind dann von der Redaktion der hjs-online verschiedene Dokumente ungeklärter Provenienz beigefügt, die laut C.N.S.A.S., aus einem allgemeinen „Fond documentar“ (Aktenfundus) stammen. Der Leser würde sich suggestiv dann schon einen Reim auf das so Kolportierte machen.
Auf dieselbe Quelle stützt sich auch die Neue Zürcher Zeitung vom 9. Februar 2011, die der Verfasser des oben erwähnten Kurzberichts in der Siebenbürgische Zeitung indirekt zitiert.
Da ich meine Akte aus der Zeit von 1969-1990 immer noch nicht kenne, kann ich auch nicht wissen, woher der mir zugeschriebene IM-Name „Marin“ kommt. Ich weiß aber, dass ich niemals eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) als „Marin“ unterschrieben habe. Dieser „Marin“ bin ich nicht – was immer man auch als angebliche „Beweise“ vorzubringen versucht.
Auf meine Anfrage an die C.N.S.A.S., wieso das Kollegium zu dieser Erkenntnis kommen konnte, wurde mir mitgeteilt, dass sich die Unterlagen dazu in einem sogenannten „Fond documentar“ (Aktenfundus) befinden würden. Weiter heißt es in diesem Brief, dass sie nicht aus meiner Akte 1969-1990 stammen. Denn diese wurde immer noch nicht aufgefunden.
In demselben Aktenfundus befindet sich auch die angebliche „Quittung“, mit der Richard Wagner (Berlin) in den Medien hausieren ging, um mich als „IM ‚Moga’“ und angeblichen Geldempfänger der Securitate an den medialen Pranger zu stellen. Es ist ein Pool ungeklärter Akten („Dosar problemă“), die sich auf die deutsche Minderheit in Rumänien beziehen – wie mir Dr. Virgiliu-Leon Ţărău, Vizepräsident der C.N.S.A.S.-Behörde, brieflich mitteilte.
Die erwähnte, von Wagner beim Landgericht München 1 vorglegte angebliche „Quittung“ erwies sich dann im Verfahren vom 17.01.2011 als ein Falschdokument. Richard Wagner wurde verurteilt und muss die vorläufigen Konsequenzen seiner Verleumdung gegen mich tragen.
Als die Kampagne gegen mich losgetreten wurde – zuerst von William Totok, danach von Dieter Schlesak und Prof. h.c. Dr. Peter Motzan – habe ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Februar 2010, Seite 35, in meinem Bericht „Schwester Lüge – Bruder Schmerz“ offen gelegt, wie ich am 30. Mai 1961 von der Securitate „angeworben“ wurde. Nach Verhaftung, Verhör und Androhung mit Dunkelarrest, wurde ich gezwungen, eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) zu schreiben. Link
Auch heute, nach knapp 50 Jahren, kann ich sagen, dass ich damals dadurch niemandem geschadet habe. Wegen meiner Verweigerung, als IM mitzumachen, wurde ich – nach verschiedenen Erpressungsversuchen – im 2. Studienjahr 1961/62 von der Universität, wo ich damals Germanistik studierte, exmatrikuliert. Bereits am 15. November 1962, hatte ich die Verbindung zu den Sicherheitsorganen unterbrochen („a întrerupt legătura cu organele noastre“), wie es im „Raport“ heißt. Und danach, am 12. September 1963, wurde ich von der Securitate wegen “Unaufrichtigkeit, Verweigerung und wiederholtem Nicht-Erscheinen zu festgelegten Treffen entlassen“. Im rumänischen „Raport“ heißt es „abandonat“.
Das alles ist in meiner Akte 1961-1968/69 nachlesbar, die vor mir Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für Kultur und Geschichte Südosteuropas, und William Totok eingesehen haben. Und dieselben bei der C.N.S.A.S. akkreditierten Forscher haben in eben dieser Akte aus den 1960er Jahren auch lesen können, dass mich die Securitate nach meiner Absage und Verweigerung zur Mitarbeit – auf eine Anzeige hin – jahrelang als angeblichen „westdeutschen Spion“ überwacht und bespitzelt hat. Und nicht nur mich sondern auch alle meine damaligen Freunde und Bekannten. Meine Eltern und meinen Bruder in Kronstadt. Sogar Mädchen, die ich zufällig kennen lernte. Es wurden Telefongespräche abgehört und protokolliert, Informationen über mich eingeholt u.a.m. Und was dabei der eine oder andere Bukarester Hochschullehrer, Berufskollege oder Redaktionschef so über mich gesagt haben soll – all das steht auch in meiner Akte 1961-1968/69, für jeden akkreditierten Forscher nachlesbar. Auf Spionage aber stand damals die Todesstrafe oder bestenfalls lebenslanges Gefängnis.
Im „Observator Cultural“ (Bukarest) stellte vor einiger Zeit Ana-Maria Pop Fragen an selbsternannte Richter und verbale Henker, als eine Meute der sensationsgeilen Journaille über den verstorbenen Schriftsteller Adrian Marino herfiel:
Wurde das Leben einer bestimmten Person konkret geschädigt?
Ist jemand dadurch sogar ins Gefängnis gekommen?
Und warum melden sich nicht die angeblichen Opfer dieses angeblichen Informanten, um ernstzunehmende Fakten und glaubwürdige Beweise ihres Leidens offen vorzulegen?
Link
Bisher dominieren Pauschalurteile und allgemeine Behauptungen, manchmal auch aus zweiter oder dritter Hand. Oder einfach Unterstellungen, wo man meint, man müsse sie nicht belegen, weil sie sich verselbständigen und dann auch so geglaubt werden. Dazu stellt Markus Bauer in der NZZ vom 09. Februar 2011 fest, dass diese sogenannte „Aufarbeitung häufig äusserst willkürlich und an bereits in Rumänien existierenden Freundes- und Feindeslinien entlang verläuft“.
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Daher abschließend noch einige Fragen, auch wenn man mir jetzt unterstellt, ich wolle ablenken.
Hat sich einer der „Aufklärer“ bisher herangewagt an die eigentlichen Galionsfiguren jener Jahre der Diktatur? An die Vertreter der parteielitären deutschen Nomenklatur Rumäniens oder an die hochgestellten Offiziere bei Miliz und Securitate, wie z.B. Milizgeneral Steskal in Reschitz/Reşiţa oder Securitategeneral Schnellbach in Temeswar/Timişoara? Und wer war z.B. der Oberst Wagner, dem IM „Karl Fischer“ Anfang der 1960er Jahre über mich berichtet hat? Und die vielen Anderen aus der roten Prominenz?
Vor allem solche Fragen muss man stellen.
„Peştele la cap se împute” (Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken), heißt es auf rumänisch. Warum fasst niemand im Zuge dieser hektischen und medienwirksam lancierten Aufklärungskampagne nach den „Köpfen“ jener ganz „dicken Fische“? Wer hält immer noch schützend seine Hand über diesen trüben, roten Tümpel der Vergangenheit?
Claus Stephani

Sonntag, 27. Februar 2011

ich denke mich



(c) Foto: Dieter Vandory




Ich denke mich
so wie ich war und nicht
wie ich bin

(taumelnde Feder
im Frühlicht später Jahre)

Als du mir Zweige flüstertest
sang der Herzvogel mich
bunt

und offen
trug der Tag das Haar
vom Sonnenkamm durchglänzt

wehte der Wind mir
Ahnung

Als du
mich flüstertest hatte das Dunkel

keinen Namen





(c) Monika Kafka, 02/11

Sonntag, 20. Februar 2011

Beim Kloster Stănişoara


(c) Hans Dieter Vandory




Zwischen Buchenwäldern
und schroffdunklen Felsen geht
die Zeit

schmalgewandet
monoton

reichen die Mönche
ihr kleines Brot
dazu eine Handvoll Gebet

In die verkammerte Stille steigt
der Wind
und mit ihm ein hölzerner Ton

Im Rhythmus der Toaca
verglimmt das Licht

und dem müden Wanderer
wird der stummschwarze Himmel

weit




© Monika Kafka, 2009

Montag, 14. Februar 2011

Junger Sommer

(c) Foto: Dieter Vandory


Für Elisabeth


Als der Sommer noch grün schmeckte, schrieben wir mit Sehnsuchtstinte Briefe in den weitgespannten Himmel. Die Antworten des zweifelhaften Kuckucks lachten wir in den Wind, lauschten lieber dem Gras, das zwischen unsern Fingern wuchs. Langsam, stetig. Schob der Fluss sein Wasser. Unbekümmert überhüpften wir die Steine, diesen zufälligen Makel in unserm Sonnenmeer. Hand in Hand. Durchkämmten wir die Zeit, auch wenn die Hände nur selten sich dabei berührten. Wir waren ohrgesteuert. In der Laube flüsterte die Nacht aus tausend Mündern. Ihre Geheimnisse erzählten wir einander noch ins Telefon. Doch das war später.

In jenem grünen Sommer schlief das Dunkel in den Mauerritzen. Und Gräber hatten nur die anderen. Nichts fürchteten wir mehr als diese schwarzen Büffel, die uns jederzeit und allerorts begegnen konnten.

Versprochen haben wir uns nichts. Gehalten hat es dennoch. Mehr als dreißig Jahre schon. Fügt sich dein Ebenholz in meinen Birkenblick.
Und über allem schwebt noch immer dieses Wort, der Segen, von deiner Mutter einst gesprochen. Für dich und mich.
In jenem grünen Sommer.

(c) Monika Kafka, 2011

Donnerstag, 10. Februar 2011

Madagassischer Reis

Für B.

Der Reis, sagtest du, sei heilig,
er komme direkt von Gott

ich mochte die Beilage nicht

Anamamy, sagtest du,
hießen dazu die süßen Blätter

ich verschlang deine dunklen Worte

Er verleiht dir Kraft, sagtest du ...

zum Vergessen reichte sie nicht


http://www.youtube.com/watch?v=AMPdykrcho4



(c) Monika Kafka, 2011

Dienstag, 1. Februar 2011

von februar zu februar

(c) Foto: Tabea Vahlenkamp

und selbst wenn es eist
/hin und wieder/
niemals lässt sich verhindern
das blühn

(c) Monika Kafka, 2/11

Sonntag, 16. Januar 2011

Wiener Notizen

(c) Thom Kafka


Der Sommer schmeckt nach Heidelbeereis.
Im dürstenden Gras zu Füßen der Gloriette malen wir Wolken in den weitgespannten Himmel. Es tropft. Das Schmelzende in unseren Händen, die Süße kühlt die heißen Lippen nicht.
Heraufwabert von fern die Stadt. Dunstiger Atem schwappt aus den Mündern der Touristen, die auf der Jagd nach Sisiträumen doch immer nur sich selbst begegnen. Unermüdlich, selbst zur Mittagszeit, drehn sie ihre Fiakerrunden.

Am Schönbrunner Gelb bricht sich die Sonne einen Zacken aus. Nimmt es gelassen hin. Schon viel zu lang im Bund mit all den toten, hoch gekrönten Häuptern weiß sie längst, wem sie gebührt, die Ehre. Auch heute noch. Und über glänzend weißen Kies legt sie ihr müdes Lächeln.

Später erschlurfen wir die Innenstadt. Aus durchgeknetetem Asphalt drängt sich hervor, was die Jahrhunderte zuvor hineingetreten. Es stinkt nach blauem Blut und nach Verrat, nach Pest und Heiligkeit. Dem ganzen Pferdemist in einer goldnen Türkenkugel. Die Zeiten gehen Hand in Hand. Wie du und ich, stets brav entlang des Grabens. Ein jeder ist nicht Augustin. Nur unser Lachen tanzt voraus, im Walzertakt, als hätt es kein Zuhaus.

Zuhaus ... Es ist mir nah, wie nie zuvor. Und weht mich an in all den Worten, die ich so lang schon abgelegt. Durchzieht die Gassen, hutscht über Stiegen. Mit jedem einzelnen erhasch ich einen Rest meines faschierten Siebenbürgen.

Fleischerei und Putzerei, Sodawasser und die Jause, Mistkübel und Kruzitürkn, Jesses na, verankert bleibt die Uhr, ist die Zeit auch abgelaufen.
Karfiol, Fisolen, Paradeiser. Marillen, gnä´ Frau, wollen`s net kosten? Und abends lege ich den müden Kopf aufs federleichte Polster. Im Kasten schwitzt das Nachtgewand zusammen mit den Leiberln.
An Schlaf ist nicht zu denken. Der Tag kühlt niemals aus in diesem ersten unsrer Sommer, die Kapuzinergruft hat längst geschlossen und wir, wir sind so voller Leben.

Januarmorgen. Jahre später.
Kaltgepreßte Luft hängt in den schwarzen Bäumen. Neptuns Brunnen schweigt im Schnee. Hinter der dünnen Nebelwand ist die Gloriette kaum zu erahnen. Die Wege sind vereist. Darunter festgefroren glänzt der Kies.
Von deiner sicheren Hand geleitet, geh ich mit festem Schritt drüber hinweg ...
(c) Monika Kafka, 2011

Dienstag, 28. Dezember 2010

impromptu

(c) Zeichnung: Olivia Quintin


jahre später
fällt es dir wieder ein:

die fremde hand auf deiner
dir fremd gewordenen haut-

erinnerungen weckend
unter dem viel zu weiten hemd

rubinrot

rankte sich die nacht
um langstielige worte

du trankst und trankst berauscht

während draußen flocken tanzten
und taumelten als wärn sie trunken

jahre später
fällt es dir plötzlich auf:

ein gefälliges gebrauchsstück
war das und eiswasser der wein


(c) Monika Kafka, 12/10

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Und manchmal gab es auch Orangen ...

Trude Vandory, Kirchenburg in Frauendorf, Holzschnitt



Tagsüber hatte es wieder geschneit. Dicke, wollige Flocken legten sich unbeirrbar auf den kleinen Ort. Schicht um Schicht.
Mit der Dämmerung war die Kälte gekommen. Die gläserne Luft raubte einem beinahe den Atem und der gefrorene Schnee ächzte unter jedem Schritt. Von einem fernen Gehöft bellte ein Hund. Sonst war es still.

Auf der spärlich beleuchteten Dorfstraße stapften drei Gestalten durch die anbrechende Nacht. Vorbei an dunklen Häusern, aus deren Kaminen milchiger Rauch aufstieg, vorbei an Höfen, die so verlassen wirkten wie die Glühbirnen, die sie beleuchten sollten und deren Licht nur klein und dünn schimmerte. Hinter den verwitterten Rollläden konnte man die festlich geschmückten Weihnachtsbäume in den Guten Stuben nur erahnen.

Wie so oft war der Bus einfach nicht gekommen. Eine Erklärung dafür gab es nicht.
Ein zwei Kilometer langer Fußmarsch trennte Mutter und Kinder noch von der kleinen Wehrkirche inmitten des Dorfes. Zwei Kilometer durch die eisige und eigentlich verbotene Nacht, die der aufgeklärte Sozialismus am liebsten abgeschafft hätte. Er bedurfte ihrer nicht. Die Menschen wurden nicht gefragt.

„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging ...“

Während der kleine Junge sich fest an die Mutter schmiegte und nur ab und zu wagte, in einen der Schneehaufen zu hüpfen, redete das Mädchen unaufhörlich vor sich hin. Sein Wunsch, beim Krippenspiel dabeizusein, hatte sich auch in diesem Jahr nicht erfüllt. Dabei wäre es so gerne die Maria gewesen oder zumindest ein kleines Schäfchen.
„Oder ein Mäuschen, Mama, wenigstens ein Mäuschen, das hat es im Stall von Bethlehem sicherlich auch gegeben“ sagte es leise. Und leichter Trotz klang mit.
Stattdessen sollte es nun die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vortragen mit seiner klaren, sicheren Stimme. Darauf war es schon stolz, dennoch blieb das ein schwacher Trost. Eine Geschichte vortragen und eine Geschichte spielend erleben – das war eindeutig nicht dasselbe.

„Und Mama, kommt das Christkind heuer ganz bestimmt auch zu uns nach Hause?“ fragte der kleine Junge mittendrin. „Werden wir auch wieder einen Weihnachtsbaum haben?“
Selbst die Kinder wussten bereits, dass es in jenen Jahren durchaus keine Selbstverständlichkeit war, pünktlich zum Fest einen zu bekommen, was keine Frage des Geldes war.

Seit Tagen schon verfolgten die Geschwister das Geschehen im Hause mit größter Aufmerksamkeit.
Da wurde geputzt und gekocht, gebacken und getuschelt – die Kinderfrau und die Mutter hatten plötzlich ganz viele Geheimnisse und alle Hände voll zu tun. Nur im Verhalten des Vaters schien nichts außergewöhnlich zu sein. Er kam wie immer spät nach Hause, spielte und lachte mit ihnen und brachte hin und wieder Geschenke von den Bauern mit, deren Vieh er im Laufe des Jahres behandelt oder gar gerettet hatte. Jetzt, zu Weihnachten, nachdem die Schweine geschlachtet waren, wurde auch er aus Dankbarkeit mit Wurst und Fleisch bedacht.
Doch so sehr sich die Kinder auch anstrengten, alles genauestens zu verfolgen, was rund um sie geschah, einen Tannenbaum hatten sie nicht entdecken können. Weder auf dem Balkon, noch im Keller. Einigermaßen beruhigt hatten sie festgestellt, dass sich im großen Kleiderschrank der Eltern zwar bunte Päckchen häuften, also konnte Weihnachten wohl nicht ganz ausfallen, doch was war dieses Fest ohne Baum? Ohne schimmernde Kugeln und leuchtende Kerzen, ohne Lametta und Salonzucker, von dem am Ende der Feiertage nur glänzendes Stanniol übrigblieb und an vergangene Süße erinnerte? Und ohne Orangen, den duftenden, süßherben Früchten aus einem fernen Land?

„Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war ...“

Als sie am Haus des Lehrers vorbeigingen, wehte ihnen ein leichter Wind die ersten Glockentöne entgegen. Nun war es nicht mehr weit.
Bald darauf erreichten sie das Haus des Schneiders, und da war auch schon die kleine Brücke, hinter der sich die Kirche und die sie massig umringende Mauer schemenhaft in der Dunkelheit abzeichneten. Das angrenzende Schulgebäude stand ebenso verwaist da wie die umliegenden Häuser. Sie waren wirklich spät dran.

„ ... denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“

Das große Eichentor öffnete sich mit einem leichten Knarren. Sie betraten den Kirchhof, eilten dem überwölbten Eingang zur Kirche entgegen, vorbei an den Speckkammern und dem fast schon geheimen Stübchen, in dem samstags der zwar verbotene jedoch tolerierte Religionsunterricht stattfand.
Wie oft schon hatten diese Mauern im Laufe der Jahrhunderte Schutz und Geborgenheit geboten und das nicht nur am Weihnachtsabend? Wer hätte an diesem Winterabend geahnt, daß sie einmal selber schutzlos dastehen würden, angewiesen auf barmherzige oder edle Spendengelder – je nachdem – von denen, die sie verlassen sollten, um ihr Glück in der Fremde zu suchen, in einer Gemeinschaft, die nicht die ihre sein würde?
An diesem Abend freilich war davon noch nichts zu spüren und auch nicht daran zu denken. An diesem Abend war alles so wie immer.

Auch wenn die drei Verspäteten wussten, was sie beim Betreten der Kirche erwartete, verschlug es ihnen wie jedes Jahr erstmal den Atem.
In vollkommener Stille und erhaben in seiner Schlichtheit stand er da, vor dem Altar: der Christbaum. Geschmückt mit Äpfeln, Nüssen und Strohsternen, war er eingetaucht in mildes, hundertfaches Kerzenlicht, das sich in staunenden Kinderaugen spiegelte.
In Festtagstracht gekleidet, kunstvoll bestickten Kirchenpelzen und langen Borten, saßen Männer und Frauen streng voneinander getrennt in ihren Bankreihen.
Als die kleine Orgel erklang und die Gemeinde „Vom Himmel hoch“ anstimmte, ahnten alle, dass sich nun tatsächlich das Wunder von Weihnachten, wenn auch nicht wiederholen, so doch in der Erinnerung daran ereignen könnte und somit niemals verloren sein würde.

Als die Mutter mit ihren Kindern spätabends in den Bus stieg und die gut zwei Kilometer heimwärts fuhr, nahmen sie das Licht der kleinen, alten Dorfkirche sowie die Hoffnung auf friedliche Tage mit nach Hause. Vater würde – wie jedes Jahr – das Glöckchen läuten und danach erstaunt das Fenster schließen, durch das ein letzter, kalter Windzug in die warme Stube drängte, gleich dem verirrten Flügelschlag eines fernen und doch anwesenden Engels. Der Weihnachtsbaum leuchtete sicherlich, wie immer. Und vielleicht würde es auch wieder Orangen geben und jenen Duft, in den Weihnachten damals getaucht war, den fernen, geheimnisvollen Duft von Bethlehem ...


(c) Text und Bild: Monika Kafka


Ich wünsche allen meinen Freunden und Lesern eine schöne, friedvolle Weihnachtszeit!

Eure Monika

Montag, 20. Dezember 2010

aus stille

(c) Foto: Dieter Vandory
aus stilleschneid ich das halbwort

setz es aus
dem winterlichen wind

auf seinem rücken treibt
es zu dir hin hör nur

in deiner muschel
rundet die perle

und in der dunkelkammer
des herzens

wird es uns endlich ganz
licht


(c) Monika Kafka, 12/10

Dienstag, 14. Dezember 2010

wenn orgelpfeifen frieren


(c) Foto: Dieter Vandory


wenn orgelpfeifen frieren
trauern die töne
im heiseren licht

das ohr hört sich wund
an der kristallenen stille

und in den weiten räumen weißt
selbst mein schatten
im wind

(c) Monika Kafka, 12/10

Donnerstag, 9. Dezember 2010

in dunkelnächten


(c) Foto: Dieter Vandory
In Dunkelnächten
leuchtet mir noch immer
jener Dezembertag
in wankelmütigen Flocken

(dabei trug ich kein weiß)

bald schreiben wir
den zehnten Winter und ich
hänge fest in Eiskristallen
wish you where here
doch du
kennst das Lied nicht...
(c) Monika Kafka, 2010