... oder über den Zusammenhang zwischen
einem Film, einem Buch, einer Skulptur, einem ungeschriebenen Text und
Tagespolitik
Der Mascha Kaléko Abend, an dem sie
aus dem Werk der großen Lyrikerin vortrug, liegt schon längere Zeit zurück.
Noch länger ist es her, dass ich
Maria Schraders Regiedebüt, die Verfilmung des Romans „Liebesleben“ von Zeruya
Shalev, im Kino gesehen habe.
Und seit gut über einem Jahrzehnt beschäftigt
mich die Geschichte von „Aimée und Jaguar“, in der ich der Schauspielerin zum
ersten Mal begegnet bin.
Es waren stets einschneidende
Erlebnisse, die Spuren hinterlassen haben, die weit über das Normale
hinausgingen.
Umso verwunderlicher für mich, dass
wiederum einiges an Zeit vergehen musste, bevor ich aufgrund meiner Recherchen
über diese Künstlerin auf einen Film stieß, in dem sie erneut eine tragende
Rolle spielt.
Freitag.
Es ist schon ziemlich spät.
Dennoch beschließe ich, trotz des
folgenden langen Arbeitstages und einer Laune folgend, wie ich meine, den Film
„Rosenstraße“ anzusehen.
Es war zu erwarten und überfällt
mich dennoch wieder völlig unvorbereitet.
Das ganze Grauen einer Zeit,
festgemacht an einem Einzelschicksal. Subtil. Ohne erhobenen Zeigefinger.
Emotionen in Bildern und Sprache transportiert– einer so oft pervertierten
Sprache, die dennoch rettend und heilend wirken kann. Selbst wenn es
Jahrzehnte dafür bedarf.
Kann man je darauf vorbereitet sein?
Samstag.
Business as usual.
In der Buchhandlung ist es ungewöhnlich
ruhig für einen Wochenendtag.
Zeit also, gründlich aufzuräumen,
die Bücher wieder in ein System zu bringen, das zumindest uns Buchhändlern
einsichtig erscheint.
Ein einzelnes Exemplar eines Buches
erregt meine Aufmerksamkeit. Nie zuvor ist es mir aufgefallen, hätte mich ein
Kunde danach gefragt, ich hätte erst recherchieren müssen. Ein Blick auf Cover
und knappen Klappentext und ich weiß, wo es einzusortieren ist.
Auf dem Weg zum NS Regal schlage
ich es auf, lese ein paar Sätze. Nein, denke ich, heute ist nicht der Tag für
solch eine Lektüre.
Und mache dennoch kehrt. Lege das
Buch an mein Info.
„Der letzte Jude von Treblinka“.
Draußen scheint die Sonne,
es wird endlich Frühling in der Stadt, die Zeit der Düsternis und Kälte ist
vorbei.
Am Abend hab ich das Buch
ausgelesen. Trotz widriger Umstände. Trotz Sonnenschein.
Die Antwort auf die Frage eines
Kollegen, wie es denn so sei, das Buch, ob auszuhalten, fällt mager aus: wir
müssten es ja nur lesen. Sollten wir selbst dafür nicht stark genug sein?
Sonntag.
Der Geburtstag meiner Mutter.
Nach dem Besuch auf dem Friedhof
fahre ich zur Blutenburg.
Wieder scheint die Sonne, mein
eingetrübtes Gemüt wärmt auf. Zwischen blühenden Bäumen und Sonntagsgästen
beobachte ich einen Schwan, der selbstvergessen aufwändig Morgentoilette
betreibt. Die Kamera ist gezückt. Und ich bin bemüht, das von Vater Gelernte
umzusetzen. Den Blick wach zu halten für den Augenblick.
Unter silbrigen Birken schimmert es
dunkel. Und zieht mich magisch an.
Ich seh die Rosenstraße und
Treblinka und einen Ort im fernen Russland, der mir den Großvater genommen hat.
Den Endlostreck einer Geschichte, die ihre Wurzeln immer noch nicht ganz beseitigt
hat. Im grauen Kleid der Angst und entblößter Würde ziehen sie jahrzehntelang auf
diesem Weg vorbei – ins ungewiss Gewisse. Vorbei an Frühling und Gesang, an
Sommerhungrigen und grünen Wiesen, an Würm und Schwan und Kameras, die
zweifelsohne noch vereinzelt blitzen.
Montag. Morgen.
Blick in die Zeitung.
Auftakt im NSU- Mordprozess.
München. Nymphenburger Straße, 16.
Ich glaube nicht an den Zufall,
schrieb schon Paul Claudel …
/c/ bild und text monika kafka, 2013