Ich freue mich sehr, Claus Stephani erneut als Gast auf meinem Blog begrüßen zu dürfen.
Allen meinen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine anregende Lektüre!
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/c/ dieter vandory, seelebaumelwiese, 2012 |
Heute habe ich in meinem Garten den Rasen gemäht. Nun sitze ich auf der Terrasse, betrachte das Grundstück, auf dem es bis vor einer Stunde noch eine kleine Wiese gab, und mir ist dabei nicht wohl zumute. Denn dieser Rasen schaut jetzt beinahe auch so aus wie alle anderen Grünflächen in der Nachbarschaft. Beinahe, muss ich einschränkend wiederholen, nur beinahe. Denn da stehen noch mitten im Rasen einige kleine Inseln mit Hahnenfuß, Leimkraut, Margareten, Tausendschönchen und anderen Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Ich bin mit dem gefräßigen Rasenmäher vorsichtig um sie herumgefahren. Und so ist mein Rasen jetzt immer noch nicht einheitlich und sauber, wie ein richtiger Rasen zu sein hat. Die Nachbarn aber werden sich weiterhin wundern und seltsame Beobachtungen anstellen: „Was sind das nur für Leute, die dort wohnen? Ihr Rasen schaut ja aus wie eine Wiese?“
Es ist schon viele Jahre her, als ich zum erstenmal einen richtigen Rasen sah und mir damals ähnliche Fragen stellte.
Wir lebten erst seit etwa zwölf Stunden in Deutschland, und meine Eltern hatten uns für ein paar Tage bei Bekannten eingemietet, damit wir nicht in ein sogenanntes Übergangslager ziehen müssen. Es war ein Reihenhaus, und auf dem kleinen Grundstück gab es eigentlich nur einen phantasielosen grünen Rasen und einen schelmisch lachenden Gartenzwerg, der auf einem Steinsockel stand und unentwegt zum Haus blickte.
An jenem Tag kehrten die beiden Vermieter von einer längeren Ferienreise zurück, und ihr erster Weg führte selbstverständlich zu ihrem Rasen hinter dem Haus. Und da hörte ich plötzlich einen schmerzlichen Aufschrei. Denn im einheitlich gepflegten Gras hatten sich, während ihrer Abwesenheit, ahnungslos rasenfremde Blumen angesiedelt. Darunter waren auch solche, die ich zuvor genannt habe.
Und nun folgte sogleich eine hektische Strafaktion, denn jede kleine Blume, die auf einem sauberen deutschen Rasen nichts zu suchen hat, wurde einzeln und mit Wurzel entfernt. In die dadurch entstandenen Lücken aber streute man rasch etwas Rasensamen und bedeckte ihn mit schwarzer Gartenerde aus einem großen Plastiksack. Dann bekam die Saat auch etwas Regenwasser, das man mit einer kleinen Gießkanne aus einer Tonne schöpfte.
Ich beobachtete diese Leute und wunderte mich, denn so etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Soviel Aufregung wegen ein paar kleinen Blumen. Und die Gründlichkeit, mit der man bei ihrer Entfernung und Vernichtung vorging. Kein ängstliches Gänseblümchen, auch wenn es noch gar nicht zu blühen gewagt hatte und sich irgendwie verstecken wollte, blieb unentdeckt. Denn man erkannte es schon an seinen runden Blättern. So wurde der Rasen langsam aber sicher von allen Fremdpflanzen gesäubert. Und schließlich war er „unkrautfrei“, wie die Vermieterin schließlich meinte, worauf ich nichts erwidern konnte.
Dann aber fragte sie mich, wobei sie die Antwort wie selbstverständlich gleich vorwegnahm, weil man ja über einen Einwanderer aus dem Osten sowieso alles schon zu wissen meint: „So etwas gab es wohl nicht bei euch in Bukarest? Einen richtigen Rasen, wo nicht alles durcheinander wächst? Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass sich dort jemand die Mühe gemacht hätte, seinen Rasen sauber zu halten.“
Was sollte ich darauf antworten? Sollte ich vielleicht erzählen, dass ich früher im Herbst manchmal nach Siebenbürgen gefahren bin, oder nach Marmatien zu den weiten Wiesen am Rande der Karpaten, wo die vielen wilden Blumen wachsen? Ich hatte einen kleinen Sack mit dabei und sammelte Samen ein, die ich von den trockenen Blütenähren streifte. Dann verstreute ich diese Samenkörner auf der kleinen Wiese in meinem Garten hinter unserem Haus. So gab es da bald Blumen wie in den Karpaten, Blumen, die sich dann selbst weiter versämten. Und die Nachbarn schauten manchmal über den Zaun und sagten bewundernd: „Wie viele Blumen da auf eurem Rasen wachsen! Wie macht ihr das nur, dass euer Rasen immer so bunt ist?“
Als die Vermieterin dann mit einem feuchten Tuch das ewig lachende Gesicht des Gartenzwergs vom Staub der letzten Wochen liebevoll säuberte, sagte ich: „Du hast recht, so etwas gab es dort nicht.“ Und da hatte ich sogar die Wahrheit gesagt und konnte mit meiner Antwort zufrieden sein. Denn damals hatte die Kultur der Gartenzwerge und der „unkrautfreien“ Rasen diese ferne Gegend noch nicht erreicht.
Im letzten Sommer aber, als ich wieder einmal jenes Land an den Karpaten besuchte, konnte ich sehen: Die Gartenzwerge sind auch hier auf Vormarsch. Aus den Kasernen des grenznahen Großhandels ziehen ganze Armeen von ihnen los und erobern die Vorgärten der Vorstadthäuser. Dort stehen sie nun und lachen dich unentwegt an – selbstbewusst, wenn auch als Massenware und aus Kunststoff, doch siegesgewiss, als wüssten sie, dass bald auch diese vernachlässigte, östliche Welt erobert ist. Denn zu einem sauberen Rasen – das weiß man schon – gehört auch das zeitgemäße Idol vor dem Haus – ein Gartenzwerg, ein Statussymbol. Ein kleiner Mann, ein Europäer, vorwiegend heiter, der zuversichtlich in die Zukunft blickt.
/c/ Claus Stephani, 2012