schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Mittwoch, 27. Juni 2012

Notizen aus der Steiermark, I, Mariatrost


Es ist heiß an diesem Tag. Stille säumt den kurzen ansteigenden Weg.
Zwei Häuser nur. Am Ende, rechter Hand, die Nummer vier.                  
Im Garten wuchert Sommer. Dunkelgrün und bunt. Von einem Eisentor bewacht,  den Blicken dennoch preisgegeben.

Hier also hat sie einst gelebt. In diesem Haus, das einer Villa gleicht. Und das seit gut einem Jahrhundert baulich unverändert blieb. Die Ansichtskarte fällt mir ein, die sich vergilbt in einem Fotoalbum findet. Und ich vergleiche das verinnerlichte Bild mit dem, das meine Augen heute sehen. Es stimmt überein bis ins Detail.

Ein Lächeln streift von ferne mein Gesicht, als ich mich an die Randnotiz erinnere, die Großmutter damals der Karte beigegeben: unsere Villa steht da in krakeliger Kinderschrift.

Die Mauern atmen schattig. Die Fenster – eine andere Zeit. 
Klein und filigran bis hinauf unter das Dach sind sie bestrebt, mehr zu verbergen als zu zeigen. Und teure Wärme nicht hinaus zu leiten.

Ob es wohl kalt war hinter diesen Steinen, wenn sich darauf der Winter legte? Wie kam sie bloß zur Schule, wenn Eis den abschüssigen Weg bedeckte? Die Straßenbahn nach Graz fuhr damals schon, doch bis zur Haltestelle war es weit.
Gab es für sie wohl Pferd und Kutsche?

Keiner wird das Tor mehr öffnen.
Und ich muss auskommen mit dem, was ich an Zuwendung und Wärme von Großmutter erhalten hab. Und weiter mit den Fragen leben.

Eine luftige Garage, wie man sie oft im Süden sieht, nicht viel mehr als ein überdachter Platz, schließt ab den Blümelweg. Dahinter öffnen sich die wilden Wiesen, geben frei den Blick auf das, was Großmutter gesehen hat. Die Wallfahrtskirche reckt ihre gelben Türme weit hinaus ins Blau. Postkartenblick. Und dennoch echt. Und wieder drängt ein anderes Bild aus der Erinnerung herauf: mit leichtem Pinselstrich in warmen Farben von der Jugendlichen festgehalten, stilisiert zum Aquarell.

Es zirpt und summt und flügelt. Kein andrer Laut stört die Idylle, nicht nur die Landstraße ist fern. Ich setze mich ins Grün, halt Zwiesprache für eine Weile. Mit Gräsern, Blumen und dem Wind. Und hör dazwischen plötzlich ihre Stimme, die aufsteigt aus dem Dunkel, das wohl ein jeder in sich trägt und das zuweilen aufbricht für Momente, wenn wir nur leicht den Schlüssel drehen im Schloss zum Tore der Vergangenheit. 

Und unter steirischer Sonne begreife ich zum ersten Mal, warum sich Großmutter niemals zurückgesehnt, als sie mit Großvater in jenes ferne Land gezogen: sie fand dort eine Landschaft vor und eine Lebensform, die nahtlos passte zu der ihren.
Ganz viel /Maria/Trost in Siebenbürgen.




















/c/ Text: Monika Kafka, 06/12
Bild: Thom Kafka, 06/12

Sonntag, 24. Juni 2012







Ich kann dich kaum
erinnern, ferner Freund

doch wenn des Tages müde Wellen
am ersten Wimpernschlag zerschellen,

sehe ich manchmal diesen Mohn

dein Bild erscheint mir
ist als hört ich deine Stimme …




 
es war die art, in der er meinen namen sprach.
den kurzen. freunden vorbehaltenen.
er fand ihn wohl zu kurz, weil er stets den artikel stellte ihm voran.
als ob die stimme einen anlauf bräuchte, bevor sie fliegen konnte.
über den hellspitzen vokal, um sich im dunkelrund aufs o zu setzen.
warm klang das. samtig gar. nach mohn.

wir haben mehr geteilt als diese eine liebe. 
zum roten mohn im frühen licht.
die welt durchs objektiv betrachtet. festgehalten, digital und auf papier. den augenblick, der so vergänglich. 
in der erinnerung verankert.  

er war wie ein baum, mein ferner freund.
die wurzeln stark und sonne in den zweigen.
im innern war er rotmohnlicht.
war sanft und so zerbrechlich.

als er gefällt, saß ich am meer.
an jenem, das auch er geliebt.
und eine möwe spielte, unbändig mit dem wind. 



/c/ die mo, im juni, 2012

Freitag, 22. Juni 2012

ich jage nicht mehr


ich sammle

in straßenbahnen zum beispiel
entwertete worte
abgestanden zwischen
karlsplatz und pinakothek


oder herausgefallene
aus gestöpselten ohren
angeritzt durch scharf
kantige münder, dampfend 


zuweilen nichtworte
von dünnseidigen augen
abgegeben und 



immer häufiger
dein pfirsichwort
/das mit dem dunklen kern/
selbst auf öffentlichen plätzen





/c/ monika kafka
veröffentlicht in Wortschau, Ausgabe 15, Der Duft der Worte, 
März 2012 



Freitag, 15. Juni 2012

friedhof st. marx, wien

/c/ thom kafka, 06/12






























grüngebettet schläft hier die zeit
zwischen rankendem vergessen
und brüchiger erinnerung

nistet eine große nachtmusik
in den bäumen und das leben
atmet aus den schalen des gestern

umflügelt meine schultern
mit einem augenblick
von ewigkeit







/c/ monika kafka, 06/12

Montag, 11. Juni 2012

unters schlüsselbein

/c/ dieter vandory, urknall, 2012

































unters schlüsselbein
/das linke/
leg ich dir feuerworte
die nachtgereiften
in kalter einsamkeit
werden wuchern, lianengleich
umschlingen
was an zerbrechlichem
darunter sich verbirgt








/c/ monika kafka, 2012

Donnerstag, 31. Mai 2012

Im Lichtbaum

/c/ Diana Jahr, 2012





Im Lichtbaum 
sitzt die Geliebte, windbewegt

rinnen aus ihrem Haar
offene Träume

daraus der Feuervogel baut 
sein Nest, spät 

am Morgen nistet 
eine goldene Feder





/c/ monika kafka,31/05/12

Sonntag, 27. Mai 2012

Claus Stephani, Der Rasen







Ich freue mich sehr, Claus Stephani erneut als Gast auf meinem Blog begrüßen zu dürfen.
Allen meinen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine anregende Lektüre!



/c/ dieter vandory, seelebaumelwiese, 2012






















Heute habe ich in meinem Garten den Rasen gemäht. Nun sitze ich auf der Terrasse, betrachte das Grundstück, auf dem es bis vor einer Stunde noch eine kleine Wiese gab, und mir ist dabei nicht wohl zumute. Denn dieser Rasen schaut jetzt beinahe auch so aus wie alle anderen Grünflächen in der Nachbarschaft. Beinahe, muss ich einschränkend wiederholen, nur beinahe. Denn da stehen noch mitten im Rasen einige kleine Inseln mit Hahnenfuß, Leimkraut, Margareten, Tausendschönchen und anderen Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Ich bin mit dem gefräßigen Rasenmäher vorsichtig um sie herumgefahren. Und so ist mein Rasen jetzt immer noch nicht einheitlich und sauber, wie ein richtiger Rasen zu sein hat. Die Nachbarn aber werden sich weiterhin wundern und seltsame Beobachtungen anstellen: „Was sind das nur für Leute, die dort wohnen? Ihr Rasen schaut ja aus wie eine Wiese?“
     Es ist schon viele Jahre her, als ich zum erstenmal einen richtigen Rasen sah und mir damals ähnliche Fragen stellte.
     Wir lebten erst seit etwa zwölf Stunden in Deutschland, und meine Eltern hatten uns für ein paar Tage bei Bekannten eingemietet, damit wir nicht in ein sogenanntes Übergangslager ziehen müssen. Es war ein Reihenhaus, und auf dem kleinen Grundstück gab es eigentlich nur einen phantasielosen grünen Rasen und einen schelmisch lachenden Gartenzwerg, der auf einem Steinsockel stand und unentwegt zum Haus blickte.
     An jenem Tag kehrten die beiden Vermieter von einer längeren Ferienreise zurück, und ihr erster Weg führte selbstverständlich zu ihrem Rasen hinter dem Haus. Und da hörte ich plötzlich einen schmerzlichen Aufschrei. Denn im einheitlich gepflegten Gras hatten sich, während ihrer Abwesenheit, ahnungslos rasenfremde Blumen angesiedelt. Darunter waren auch solche, die ich zuvor genannt habe.
     Und nun folgte sogleich eine hektische Strafaktion, denn jede kleine Blume, die auf einem sauberen deutschen Rasen nichts zu suchen hat, wurde einzeln und mit Wurzel entfernt. In die dadurch entstandenen Lücken aber streute man rasch etwas Rasensamen und bedeckte ihn mit schwarzer Gartenerde aus einem großen Plastiksack. Dann bekam die Saat auch etwas Regenwasser, das man mit einer kleinen Gießkanne aus einer Tonne schöpfte.
     Ich beobachtete diese Leute und wunderte mich, denn so etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Soviel Aufregung wegen ein paar kleinen Blumen. Und die Gründlichkeit, mit der man bei ihrer Entfernung und Vernichtung vorging. Kein ängstliches Gänseblümchen, auch wenn es noch gar nicht zu blühen gewagt hatte und sich irgendwie verstecken wollte, blieb unentdeckt. Denn man erkannte es schon an seinen runden Blättern. So wurde der Rasen langsam aber sicher von allen Fremdpflanzen gesäubert. Und schließlich war er „unkrautfrei“, wie die Vermieterin schließlich meinte, worauf ich nichts erwidern konnte.
     Dann aber fragte sie mich, wobei sie die Antwort wie selbstverständlich gleich vorwegnahm, weil man ja über einen Einwanderer aus dem Osten sowieso alles schon zu wissen meint: „So etwas gab es wohl nicht bei euch in Bukarest? Einen richtigen Rasen, wo nicht alles durcheinander wächst? Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass sich dort jemand die Mühe gemacht hätte, seinen Rasen sauber zu halten.“
     Was sollte ich darauf antworten? Sollte ich vielleicht erzählen, dass ich früher im Herbst manchmal nach Siebenbürgen gefahren bin, oder nach Marmatien zu den weiten Wiesen am Rande der Karpaten, wo die vielen wilden Blumen wachsen? Ich hatte einen kleinen Sack mit dabei und sammelte Samen ein, die ich von den trockenen Blütenähren streifte. Dann verstreute ich diese Samenkörner auf der kleinen Wiese in meinem Garten hinter unserem Haus. So gab es da bald Blumen wie in den Karpaten, Blumen, die sich dann selbst weiter versämten. Und die Nachbarn schauten manchmal über den Zaun und sagten bewundernd: „Wie viele Blumen da auf eurem Rasen wachsen! Wie macht ihr das nur, dass euer Rasen immer so bunt ist?“
     Als die Vermieterin dann mit einem feuchten Tuch das ewig lachende Gesicht des Gartenzwergs vom Staub der letzten Wochen liebevoll säuberte, sagte ich: „Du hast recht, so etwas gab es dort nicht.“ Und da hatte ich sogar die Wahrheit gesagt und konnte mit meiner Antwort zufrieden sein. Denn damals hatte die Kultur der Gartenzwerge und der „unkrautfreien“ Rasen diese ferne Gegend noch nicht erreicht.
     Im letzten Sommer aber, als ich wieder einmal jenes Land an den Karpaten besuchte, konnte ich sehen: Die Gartenzwerge sind auch hier auf Vormarsch. Aus den Kasernen des grenznahen Großhandels ziehen ganze Armeen von ihnen los und erobern die Vorgärten der Vorstadthäuser. Dort stehen sie nun und lachen dich unentwegt an – selbstbewusst, wenn auch als Massenware und aus Kunststoff, doch siegesgewiss, als wüssten sie, dass bald auch diese vernachlässigte, östliche Welt erobert ist. Denn zu einem sauberen Rasen – das weiß man schon – gehört auch das zeitgemäße Idol vor dem Haus – ein Gartenzwerg, ein Statussymbol. Ein kleiner Mann, ein Europäer, vorwiegend heiter, der zuversichtlich in die Zukunft blickt. 



/c/ Claus Stephani, 2012

Samstag, 26. Mai 2012

filigran


du hast mein narbenherz
umgarnt zur wintersonnenwende

hast silberfäden eingewebt
und das muster deiner hände

dein malvenmund
sprach sommer stets, zerschnitt
mein dunkel nacht für nacht

hast du die wunden still
vernäht und mich gehüllt
in samt

und seide
fließt aus deinem haar

wenn mich der maimond stürzt
ins licht




/c/ monika kafka, 26/05/12


/c/ dieter vandory, für dich, 2012








Sonntag, 20. Mai 2012

wovon man nicht sprechen kann,

darüber muss man schweigen 
                                      /wittgenstein/
































 
stimmt.

Sonntag, 13. Mai 2012

erwachen

/c/ dieter vandory, 2012





wie sich die landschaft weitet
darin dein auge
nachtentkleidet talwärts rinnt

sich verschwendend an den morgen
der taubenetzt noch
zwischen dunklen schenkeln liegt

ein junger wind
fährt keck hindurch, steigt auf
zu gipfeln, lichtumspielt

liegt grün in seinem klang
die wiese und
ihre maihaut zittert



/c/ monika kafka, 05/12

Mittwoch, 9. Mai 2012

Evelyne Weissenbach, Flossenbürg 2011





„Ihr nach-denken“, schrieb Christa Wolf in ihrem Roman „Nachdenken über Christa T.“
Dem Denken wurde und wird immer noch viel, zu viel Bedeutung eingeräumt, wobei der Mensch als denkendes Wesen sich dabei nicht selten als tierischer als jede Kreatur, die ja gerade nicht denkt, entpuppt. Den umgekehrten Weg zu gehen und sich auf diese Weise einem so schwierigen Kapitel der Geschichte anzunähern, erscheint vielleicht auf den ersten Blick illusorisch. Oder einfach. Zu einfach. Dabei ist es gerade das Nach-Fühlen, das möglicherweise zu einem anderen Denken, Nachdenken führen kann.

In einem Spür-Bericht offen zu legen, welche Fährte aufgegriffen werden könnte, um aus dem Grauen und Entsetzen der NS-Zeit heraus zu treten, mit einem neuen Bewusstsein, einem, das nichts leugnet, nichts verdrängt von den Schrecknissen jener Zeit sondern mit einem, in dem das Gefühl, die Emotion integriert wird, um aus den Opfern wieder Menschen entstehen zu lassen- das ist Evelyne Weissenbach in ihrem Spürbericht über das Konzentrationslager Flossenbürg auf eindringliche und ausdrucksstarke Weise gelungen.
Sich einfühlen in diese Menschen, die dort gelebt und gelitten haben, die dort ihr Leben lassen mussten, weil denkende Menschen es so wollten.

Das Büchlein ist Bericht und Beschreibung gleichermaßen.
Evelyne Weissenbach schildert zum einen den Rundgang durch die Anlage von Flossenbürg, die Gedenkstätte, was sich beinah wie ein Reiseführer liest: konkrete Angaben, Details in sachlicher Sprache, angereichert durch Fotos.
Zum anderen wird der Bericht jedoch immer wieder aufgebrochen durch die Beschreibung von Seelenzuständen, in die die Autorin bei ihrem Rundgang gestürzt wird. Diese Zerrissenheit, dieses ständige Ringen darum, das Denken außen vor zu lassen, sich den wechselnden inneren Emotionen zu stellen, die ihr schier die Luft zum Atmen nehmen, wird auch durch eine in diesen Passagen äußerst poetische Sprache deutlich gemacht.

Ein ergreifendes Buch und ein tröstendes, wenn der Leser bereit ist, sich auf diesen Weg einzulassen.


Evelyne Weissenbach
Flossenbürg 2011

hs-LiteraturVerlag 2011
978-3951-99072-9

Sonntag, 6. Mai 2012

la luna


/c/ dieter vandory, lichtbarke, 2012




legst mir dein schwellendes
licht um die schultern
streichst gold auf meine haut
brichst alternde wünsche
im ewigen spiegel
von lust und begehren auf

dich kann ich setzen
in solchen nächten ist alles
erlaubt und nichts tabu-
verirrt deckt meine hand
deine augen und mehr noch
dein wissendes lächeln zu




/c/ monika kafka, 05/12