/c/ Dieter Vandory, zwei, 2011
„Darf ich noch reinkommen?“
Ihr schwarz umrandeter Blick stolperte den Worten hinterher. Fiel durch den Türspalt auf meine Schuhe. Hangelte sich langsam hoch, bis er meinen fand. Und setzte sich darin fest.
Ich öffnete die Tür. Müde löste sich ihr schmaler Rücken vom Rahmen. Ich trat ein paar Schritte zur Seite und ließ sie ein. Treten in mein für ein paar Tage geborgtes Domizil. Sie bewegte sich nervös, fast ungelenk. Der Mantel sprang auf und ich sah, dass sie darunter noch das kleine Schwarze trug. Sie hatte sich also nicht umgezogen nach ihrem Auftritt.
Ich schloss die Tür. Ging zur Bar und goss mir langsam einen Whiskey ein.
„Willst du auch einen?“, fragte ich mit belegter Stimme.
Sie nickte nur, während sie Mantel und Handtasche aufs Sofa gleiten ließ. Ging aufs Fenster zu.
„Schöne Aussicht von hier oben“, sagte sie und lächelte, „wäre es nicht schon dunkel.“
„Ja, und jetzt ist sie wenigstens nicht mehr laut.“ Ich lachte heiser. Räusperte mich.
„Hier, dein Whiskey.“
Wir prosteten uns zu.
Ihre Finger, diese feingliedrigen samtumhüllten Kunstwerke. Sie hatten Spuren auf meiner Haut hinterlassen. Niemals zu Ende gegangene Wege. Wege durch Gletschereis und Wüstensand. Immer schön abwechselnd, dachte ich bitter. Schluckte tief und trocken. Brannte das Getränk meine Kehle hinunter. Und die Frage, was will sie?
Als ihre Lippen das Glas berührten, färbte sich die Stille rot. Und ihre Augen lagen darin wie glimmende Kohle. „Das ist gut“.
Sie nickte anerkennend der goldgelben Flüssigkeit zu.
„Schön, dass du gekommen bist“, sagte sie unvermittelt. Drehte sich kurz weg, um das Glas auf dem Schreibtisch abzustellen. Als sie danach meinen verständnislosen Blick auffing, fügte sie hinzu: „Zum Konzert, meine ich.“
„Du warst phantastisch“, entgegnete ich. „Unglaublich, wie deine Stimme gereift ist. Die tiefen Töne vibrieren förmlich. Sie sind rund und doch rau, man kann Abgründe dahinter erahnen.“
Sie winkte ab. „Ach was, in Wahrheit bin ich einfach nur alt geworden und muss mein Repertoire danach ausrichten. Aber es freut mich dennoch, dass es dir gefallen hat. Und woran arbeitest du gerade?“, fragte sie und deutete auf meinen Laptop. „Ich habe dich doch hoffentlich nicht gerade dabei gestört, deinen Protagonisten ins Jenseits zu befördern?“
Der leise Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Ich habe einen neuen Gedichtband publiziert, deshalb bin ich auch in dieser Stadt. Der Verlag ist der Ansicht, dass Signierstunden dem Verkauf förderlich seien … Na ja, davor lese ich natürlich auch. Du siehst“, sagte ich, „der Zufall hat uns zusammengeführt nach so langer Zeit. Der Zufall und die Kunst.“
„Ist das nun gut oder schlecht? Ich meine, glaubst du an die Strategie des Verlags?“
Sie blickte mich lauernd an. Ich war überzeugt, sie hatte längst bemerkt, dass meine Selbstsicherheit nur eine gespielte war. Dass meinen Lippen Worte entkamen, die nicht mit meinen tatsächlichen Gedanken überein stimmten. Bevor ich antwortete, nahm ich einen tiefen Schluck von meinem Whiskey. Er war in meiner Hand bereits warm geworden.
„Ja, warum auch nicht?“, flüsterte ich und sah sie unverwandt an.
„Ich müsste mal … dringend“, sagte sie und blickte sich fragend um.
„Geradeaus und dann links“, antwortete ich und ließ mich auf die Couch fallen. Hoffte, die kurze Zeitspanne, in der sie nicht anwesend war, nutzen zu können. Meine Gedanken zu sortieren, die längst nicht mehr um die Frage kreisten, was sie denn eigentlich wollte. Sondern darum, wo ich in dieser Situation stand. Und meine Pappmacheebeine zu entlasten. Das war doch nicht möglich, dachte ich immer und immer wieder.
Wie zerbrechlich sie doch wirkte. Und abgespannt. Wie nach einem langen beschwerlichen Weg, der nichts mit dem heutigen Auftritt zu tun hatte. Ich wusste um ihre Schatten. Um ihr Straucheln. Ihre Verzweiflung. Wir waren einander nah geblieben. Im Wort. Und den Rest erfuhr ich aus der Presse. Die war ja schon immer gnadenlos. Das wusste ich mittlerweile selbst zur Genüge.
Ich stand auf, schenkte mir nach. Wunderte mich. Sie blieb schon zu lange weg. Die Tür zum Bad war nicht ganz geschlossen. Alles in Ordnung, fragte ich und spähte hinein. Sie stand aufgestützt am Waschbeckenrand, den Blick im Spiegel verloren. „Endlich“, sagte sie und drehte sich langsam um.
Ihre Lippen schmeckten nach Walderdbeeren und bitterem Verzicht. Meine Hände legten die Röte frei. Blattunter nistete die Wärme des Wüstensandes. Ließ Gletscher schmelzen. Ihre Brüste wölbten sich mir entgegen. Und in unseren Atem mischte sich die Melodie des ewigen Windes, der Glimmendes entfacht zum zügellosen ...
Es klopfte.
„Ihr Taxi, Madame, es wartet.“
Amy Sörensen klappte das Buch zu, ergriff ihren Koffer und verließ das Hotelzimmer.
/c/ Monika Kafka, 12/2011
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