Gast auf meinem Blog ist im Dezember der Ethnologe, Schriftsteller, Kunsthistoriker und Journalist Dr. Claus Stephani.
Im siebenbürgischen Kronstadt geboren, verließ er 1990 seine Heimat und lebt seither bei München.
Seine zahlreichen Publikationen - ob Lyrik, Prosa, Oral History, Märchen, Sagen - beweisen jedoch, dass er wie kein Zweiter eigentlich beheimatet ist im Wort.
Ihm hinterher zu lauschen, es abzuklopfen, stets zu hinterfragen ist seine Lebensaufgabe. Und es sind meist die leisen Töne, die Zwischenklänge, die in den Texten von Claus Stephani einen Zauber entfalten, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Sein letzter Roman, Blumenkind, ist im SchirmerGraf Verlag, 2009 erschienen.
schluesselworte
Donnerstag, 15. Dezember 2011
Samstag, 10. Dezember 2011
was noch zu sagen wäre ...
Montag, 5. Dezember 2011
zwischenwÖrtlich - eine gemeinschaftsarbeit diana jahr & monika kafka
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Liebeslyrik
Montag, 28. November 2011
zum beispiel
/c/ dieter vandory, ruhe und wut, 2010 |
ausspähen
die nacht und ob
sich was schreiben ließe
gegen den faltenwurf
der dunkelheit ein zeit-
wort setzen schwach, gebeugt
lieben
zum beispiel
/c/ monika kafka, 11/11
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Dienstag, 22. November 2011
Ein alter Reisepass
Schlammiges Braun verziert mit goldenen Lettern. Selbst nach einem Vierteljahrhundert hat er nichts von seiner Scheußlichkeit verloren. Und dennoch war er einmal wertvoller als alles Gold dieser Welt.
Kraftvoll atmet mir auch heute noch das Papier entgegen. Ich rieche Armut, Angst und Tränen. Lauter Dinge, die es unter dem eingeprägten, ebenfalls goldenen Staatswappen offiziell nicht gab.
Mit spitzen Fingern durchblättere ich die Zeit und sehe die vielen vorgehaltenen Hände wieder, hinter denen sich der Unaussprechbare in ungenauen Flüsterworten verbarg: ihn hatte man beantragt, bekommen oder nicht, er war wieder in weite Ferne gerückt, man erwartete das Dokument in den nächsten Tagen, Monaten, Jahren, es war endlich da! Und manchmal musste man auch gar nicht flüstern. Manchmal genügte ein Schrei oder ein Leuchten der Augen, damit es alle wussten.
Ich höre mich immer noch schreien, wenn ich an jenen Tag zurückdenke, an dem ich ins Foyer des Studentenwohnheims, zu dem einzig verfügbaren Telefon gerufen wurde. Mutter sprach leise, sehr leise, so als ob die Abhörgeräte damit außer Betrieb gesetzt werden könnten. Beschwörend klangen ihre Worte. Ganz ruhig, mein Kind, bleib ganz ruhig, verstehst du mich, sagte sie. Aber ja doch, ja, ja, antwortete ich und wagte kaum zu atmen.
Wer ist gestorben, Mama?
Unsere Vergangenheit, mein Kind, sagte sie mit tonloser Stimme. Ich verstand immer noch nicht, vielleicht weigerte ich mich auch nur, zu begreifen, wieso war sie so gefasst, fragte ich mich stattdessen, wenn es doch offenbar etwas zu beklagen gab.
Seit wann verwendet Mutter eine metaphorische Sprache, wenn sie mit mir spricht, wunderte ich mich gerade noch, als sich mit einem Mal dieser Schrei löste, dieser hab-alles-begriffen-Schrei. Fiel durch den Hörer zu Mutter, die ihn nicht halten konnte, kehrte zurück, prallte an die Wände und landete schließlich wie ein Echo hundertfach verteilt mitten unter den redenden und lachenden Studenten.
Die plötzlich eingetretene Stille starrte mich aus wissenden Augen an.
Ich zitterte, während ich weiterhin versuchte, Mutters Stimme zu folgen, ihren Worten Inhalte zuzuordnen, ich erinnerte mich an signifiant signifié aus den Linguistik Stunden, das muss doch irgendwie klappen, dachte ich, und verstand doch nur, was mein Herz mir in die Schläfen trommelte: Du bist frei!
Was diese Freiheit bedeutete, sollte mir allerdings erst klar werden, als ich den Pass an einem nasskalten Novembertag in Empfang nehmen durfte. Und was sie gekostet hatte, das erfuhr ich Jahre später.
Ich durchblättere mit spitzen Fingern die Zeit.
Nichts ist verblasst im Laufe eines Vierteljahrhunderts.
Nicht die ungelenke Unterschrift, die ich damals mit blauer, chinesischer Tinte und feingliedrigem Füller, einem Geschenk meines Vaters, geleistet habe.
Nicht der Satz, der mich gleich in drei Sprachen für vogelfrei erklärte: rumänisch, russisch und französisch. Pour personnes sans citoyenneté steht unverrückbar da, was so viel bedeutet, als dass ich nirgendwohin mehr gehörte. Und auch nicht die eingestempelten Durchreisevisa der Länder, die ich bis dahin nur dem Namen nach kannte.
Alles ist immer noch deutlich lesbar wie am Ausstellungstag.
Ich trug es, dieses heute noch stinkende Golddokument, in den nächsten Tagen und Wochen stets wie eine Trophäe bei mir und genoss meinen vorerst größten Triumph: eine Nacht im ausschließlich den zahlungskräftigen, ausländischen Studenten vorbehaltenen Wohnheim, in dem mein damaliger Freund wohnte.
Und was diese neue Freiheit denn nun gekostet hat?
Geld, das für Pass und Visa, für den Verzicht auf die eine Staatsbürgerschaft und den Erwerb einer neuen gezahlt wurde, lässt sich zählen. Selbst mit Gold nicht auszugleichen bleibt allerdings dieses lebenslange Gefühl, wie eine Ware verschachert worden zu sein. Und dabei etwas verloren zu haben. Etwas, was gemeinhin als Heimat bezeichnet wird.
Heute lebe ich in einer süddeutschen Stadt, von der ich einst großzügig adoptiert worden bin, besitze keinen gültigen Reisepass mehr und kenne dennoch mittlerweile eine Vielzahl von Ländern – nicht nur dem Namen nach.
Und im Übrigen versuche ich neuerdings, mich in einer Art inneren Heimat einzurichten, der einzigen wohl, die man nicht wieder verlieren kann, denke ich an guten Tagen, aber das ist dann wiederum eine andere Geschichte.
/c/ Monika Kafka, 2011
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Prosa
Mittwoch, 16. November 2011
Im November ...
... ist die Fotografin und Lyrikerin Tabea Vahlenkamp Gast auf meinem Blog.
Geboren und aufgewachsen in Thüringen, lebt sie heute mit ihrer Familie bei Berlin, wo sie ein eigenes Fotostudio betreibt.
Ihre Motive findet sie in der Natur. Auf Spaziergängen, oft an der See, sind es die kleinen, unscheinbaren Dinge, die ihr geschultes Auge ausfindig machen, festhalten und stimmungsvoll gestalten.
Ihre fotografischen Arbeiten waren nicht nur in Ausstellungen zu sehen, sondern im Zusammenhang mit ihren filigranen Gedichten auch schon in diversen Büchern zu genießen.
Als letztes ist im hs-verlag erschienen Im Stillen wohnt ein kleines Glück - ein Titel der durchaus als Programm für ihr Arbeiten zu verstehen ist.
Geboren und aufgewachsen in Thüringen, lebt sie heute mit ihrer Familie bei Berlin, wo sie ein eigenes Fotostudio betreibt.
Ihre Motive findet sie in der Natur. Auf Spaziergängen, oft an der See, sind es die kleinen, unscheinbaren Dinge, die ihr geschultes Auge ausfindig machen, festhalten und stimmungsvoll gestalten.
Ihre fotografischen Arbeiten waren nicht nur in Ausstellungen zu sehen, sondern im Zusammenhang mit ihren filigranen Gedichten auch schon in diversen Büchern zu genießen.
Als letztes ist im hs-verlag erschienen Im Stillen wohnt ein kleines Glück - ein Titel der durchaus als Programm für ihr Arbeiten zu verstehen ist.
/c/ Tabea Vahlenkamp, Kraniche |
november am see
Wo deine Seele farbig floss ergießt
Sich heute Nebel weiß umrandet liegt
Der See von kahlen Bäumen tröpfeln Träume
So ausgedünnt und sacht als wär es Schnee
Ein schwarzer Rauch umflort die Ufer kalt
und brandig schmeckt die Luft von fern durchweht
ein Seidenton die Stille Dunkles ruht
im Haar der Weide altert stumm die Zeit
/c/ monika kafka, 11/11
/c/ Tabea Vahlenkamp, Leuchten |
/c/ Tabea Vahlenkamp, Träumen |
Mittwoch, 2. November 2011
blutbuche
/c/ thom kafka, 2011
im alternden licht
rinnt ihr das gold aus
gebreiteten armen
im rindenmantel
wächst grau
das narbengeflecht
dazwischen
verwaisen träume
gebrochen
wie zauberstäbe
unverständlich
bleiben geritzte zeichen
/c/ monika kafka, 11/11
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Gedankenlyrik,
Landschaftsdichtung,
Liebeslyrik
Freitag, 28. Oktober 2011
unterm laub
/c/ dieter vandory, 2011
unterm laub
wirft die erde
keine fragen mehr auf
dem schweigeteppich geht
das jahr zu ende
und antworten
hängen an den ästen
schuldig geblieben bald
schon zerklirrt vom wind
/c/ monika kafka, 10/11
Montag, 24. Oktober 2011
wohin soll ich mich sehnen ...
/c/ dieter vandory, 2011
hinter der tür ist kein haus mehr
die klingel – eine rostige grille
die einzig bei ostwind sirrt
falsch montiert
erlaubt der spion dem auge
jetzt jenseitig zu spähn
ausgelegt mit photos ist
die welt gepflastert dort
in blassendem schwarzweiß
und stimmen pendeln
an taumelnden fäden
echolos im weiten raum
es ist kein haus mehr hinter der tür
die grille sirrt rostig
wenn der ostwind schlägt
es duftet nach brot und
offenen händen den gestrigen
worten in meinem traum
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Gedankenlyrik,
Trauer
Samstag, 22. Oktober 2011
mutterlose landschaft
/c/ thom kafka, 2011
mutterlose landschaft
du hältst mit der wahrheit
hinter dem berg wo die flüsse
ostwärts fließen
steht eine rose
herbstgeknickt
/c/ monika kafka, 22/10/11
/c/ monika kafka, 22/10/11
Samstag, 15. Oktober 2011
Vier Jahreszeiten - von Olivia Quintin
Gast auf meinem Blog ist in diesem Monat die Künstlerin Olivia Quintin.
Ihre große Leidenschaft ist das Aquarell, das sie "magisch" nennt und dessen Zauber für sie im Zusammenfließen der Farben und Formen besteht.
Sie experimentiert mit allen Techniken. Motive/Themen findet ihr aufmerksames Auge in der Natur, ihre bretonische Heimat ist ein schier unerschöpfliches Reservoir dafür. Olivia Qintin präsentiert ihre Arbeiten regelmäßig auf ihrem Blog und immer häufiger auch bei Ausstellungen.
Für den hier vorgestellten Zyklus der "Vier Jahreszeiten" hat sie sich zusätzlich von der Musik Vivaldis inspirieren lassen - wie schön es doch wäre, wenn dieses Zusammenspiel der Künste noch um Poesie erweitert werden könnte ...
Lasst euch inspirieren!
Lasst euch inspirieren!
/c/ olivia quintin - printemps
unter den linden
dein gekräuseltes wort
als aimée erwachte
hatte der himmel ein frisches kleid an-
gezogen von schleierndem weiß
auf bläulichem grund verlor sich
ihr blick im changierenden muster wie
lang hatte sie wohl ausgeharrt
zwischen verkrusteter erde und
vereister luft im flachen atem
füllte sich jetzt die brust
mit wachsender ahnung von
ihren wurzelfüßen hinauf
ins verzweigte haar trieben
die träume knospen herzförmige
vorboten der süße deines
gekräuselten wortes
das nach heimat schmeckt
der linden
/c/ monika kafka, 2011
/c/ olivia quintin - été
/c/ olivia quintin - automne
du
in der mondschmiege
sprichst mir
brombeeren
zwischen lippen
fließt zu mir
auf sommerwein
der im wort
überwintert
nicht nur
am morgen
schmecke ich
deinen namen
/c/ diana jahr, 2011
/c/ Olivia Quintin - hiver
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Texte von FreundInnen
Sonntag, 9. Oktober 2011
Im Gegenlicht
Im Gegenlicht
steht jetzt der Sommer
kämmt letztes Leuchten
aus dünnem Haar
fallen noch ab
für uns ein paar Träume
gespiegelt im Weiß
einer streunenden Wolke
Sein schiefes Lächeln
zieht seltsame Kreise
über dem See
entlaubt sich langsam der Blick-
wir schälen die Zeit
zwischen unseren Händen
bleibt noch ein Rest
von schütterem Glück
kämmt letztes Leuchten
aus dünnem Haar
fallen noch ab
für uns ein paar Träume
gespiegelt im Weiß
einer streunenden Wolke
Sein schiefes Lächeln
zieht seltsame Kreise
über dem See
entlaubt sich langsam der Blick-
wir schälen die Zeit
zwischen unseren Händen
bleibt noch ein Rest
von schütterem Glück
/c/ bild und text: monika kafka, 10/11
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Gedankenlyrik
Mittwoch, 28. September 2011
nichts bleibt
/c/ dieter vandory, 09/11
nichts bleibt
außer den toten
blättern im gepressten duft
des sommers
zwischen tollkirschen
und seidelbast
suchen die lampionblume
macht das licht aus
außer den toten
blättern im gepressten duft
des sommers
zwischen tollkirschen
und seidelbast
suchen die lampionblume
macht das licht aus
/c/ monika kafka, 09/11
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Gedankenlyrik
Montag, 26. September 2011
o.t.
/c/ dieter vandory, 2011
und wie du mein haar
berührt deine stimme
gelegt um mein verwundetes
herz /so oft/ umsponnen
mit heilenden händen
die fäden entknotet
die meinen blick verhängt
hast meine schritte
geleitet wenn kein weg mehr
in sicht
mich getragen und geboren
begraben hab ich dich
in einem sonnigen oktober
im vogelbeerenrot und rost-
rissig wachsen die schatten
mutter
an keinem tag so sehr wie heut
/c/ monika kafka, 26/09/11
Freitag, 23. September 2011
vorbei
/c/ dieter vandory
du gehst wie du gekommen:
mit tastendem blick
und leichtem wortgepäck
unsicheren schrittes
durch die hintertür
letzte silben rollen
von kammer
zu kammer
zerfällt
das sagbare
buchstäblich
vor unseren augen
dreht sich
der herzschlüssel
ins schloss
/c/ monika kafka, 2011
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Trauer
Donnerstag, 15. September 2011
Montag, 12. September 2011
in memoriam 07.09.11
günther moro, laxenburg, april, 2011
R.I.P.
erwacht im genadelten schatten der pinien.
darüber gestaut, ein milchiger himmel – bühne frei für ihren auftritt: brennend schon am morgen, keinen zweifel darüber aufkommen lassend, wem der tag gehören wird und doch:
um ihren glühenden kranz lag ein dunkler reif, der sie am ungehemmten strahlen hinderte.
das meer – flüssiges glas in jade.
endlich besänftigt nach tagen voller schäumender wut.
eine kleine kapelle unter freiem himmel.
auf irgendeinem campingplatz im veneto.
vormittag, 10 uhr.
zwitschernde vögel, flirrendes licht, flüsternde luft.
ansonsten stille.
zwei menschen auf einer bank.
fünf teelichter auf dem altar.
plastikblumen und eine ausgebleichte mutter gottes im hintergrund.
gefaltete hände.
gefaltete erinnerungen.
gefaltete worte.
damit sie nicht verdunsten.
unter der verschleierten sonne.
an einem kleinen ort im veneto.
es gibt keine fotos.
es gibt nur diese zwei menschen.
und fünf teelichter.
/c/ monika kafka, september, 2011
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Trauer
Mittwoch, 24. August 2011
BLOGPAUSE
/c/ thom kafka
liebe freunde und freundinnen, liebe leserInnen meines blogs,
ich freue mich, euch ab dem 15. september hier wieder zu begrüßen.
eine gute zeit bis dahin,
eure monika
liebe freunde und freundinnen, liebe leserInnen meines blogs,
ich freue mich, euch ab dem 15. september hier wieder zu begrüßen.
eine gute zeit bis dahin,
eure monika
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Ankündigungen
Sonntag, 21. August 2011
notte italiana
/c/ foto: thom kafka
Die Nacht legt ihre Netze aus
Im Sternmosaik spazieren
Pfauen und geflügelte Löwen
wachen an goldenen Pforten
Sprich nur mit halber Zunge
Hinter dem Muschelgesicht
wachsen kobaltblaue Worte
in die enthoffte Zeit
/c/ monika kafka, 2009
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Liebeslyrik
Samstag, 30. Juli 2011
Der Weg des Onkels
Nachdem er den Tag verräumt hatte, setzte sich der Onkel auf die Bank vor seinem Haus und blinzelte in die untergehende Sonne. Die Turmuhr schlug sechs Mal und dazwischen knallten Peitschenhiebe. Von einer lärmenden Kinderschar begleitet, würde das Vieh bald die Dorfstraße entlang kommen, angetrieben von Ion, dem Hirten.
Umständlich drehte sich der Onkel, der nicht mein Onkel war, eine Nationale. Zündete sie an, lehnte sich zurück und stieß genüsslich blaue Kringel in die Luft.
So wartete er bei schönem Wetter immer, auch wenn vor seinem Tor schon seit Jahren keine Kuh mehr stehen blieb. Wartete auf diesen Augenblick, da der Tag dem Abend die Hand zum Abschied reichen würde.
Bevor es jedoch soweit war, saß er einfach nur da. Rauchte und lächelte in den schmalen Lichtstreifen am Horizont. Hatte er die Augen geschlossen, schien mir, als würde sich hinter seinen Lidern der Vorhang zu einem geheimen Theater heben, in dem er der einzige Zuschauer war.
Ich habe ihn nie gefragt, was auf dieser Bühne gespielt wurde. Ich setzte mich einfach zu ihm in seine Stille.
Manchmal, wenn er die Augen kurz öffnete und mich sah, lachte er mir zu. Dann hüpfte der kleine Schnauzbart an seiner Oberlippe auf und ab, und die bauschigen Ärmel seines Leinenhemdes legten sich an den Schultern in windige Falten.
Es schwieg sich gut zusammen.
„Der Onkel träumt“, pflegte seine Frau zu sagen.
Ich wusste schon damals nicht genau, was sie damit meinte. Wie kann der Onkel denn träumen, wenn er doch gar nicht schläft, fragte ich mich stattdessen.
Und selbst heute bin ich mir nicht sicher, ob die Tante ihn insgeheim darum beneidete oder ob sie nicht doch leise über ihn spottete.
Sie hatte ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die sie festgesteckt um den Kopf herum trug. In diesem Haarnest verbargen sich ihre Gedanken. Und vielleicht, so malte ich mir weiter aus, auch ihre kleinen Spatzen, die sie nicht hatte großziehen können. Deshalb war sie Kinderfrau geworden, hatte mich lieb und ihre Lieben dennoch stets bei sich.
Für die Tante nämlich, die nicht meine Tante war, war der Tag niemals verräumt. Sie hielt ihn ständig in den Händen. Nur in der Kirche faltete sie ein Gebet dazwischen. Sonntags. Und nur wenn sie danach, noch in Festtagstracht gekleidet, neben ihrem Mann auf der Bank saß, legte sie die Hände in den Schoß. Dann ließen beide, Onkel und Tante, das Leben auf der Straße an sich vorüberziehen: schwatzende junge Menschen, Städter auf Verwandtschaftsbesuch, vereinzelt Fremde und immer häufiger durchrasende Autos.
Eines Tages, ich war schon längst erwachsen, kam auch ich mit einem dieser fremden, schnellen Autos von weither angereist. Ich setzte mich wie früher neben den Onkel auf die Bank in der dünnen Sonne. Nach einer Weile fragte er plötzlich:
„Sag mal, wie schaut es denn heute eigentlich in München aus?“
Ich war so verblüfft, dass ich ihn zunächst nur ungläubig anstarrte. Noch nie hatte er mich während seiner Abendstunde angesprochen.
Was soll ich ihm erzählen von einer Stadt, einer Großstadt, deren Ausmaß an Leben und Weite er, der seine kleinen Tage in seinem kleinen Dorf verbrachte, sicherlich nicht wird begreifen können? Und meine Antwort ließ auf sich warten. Zu lange, denn er fuhr fort:
„Erzähl mir vom Marienplatz. Es ist doch bestimmt wieder alles aufgebaut und schön hergerichtet worden. Beschreib es mir. Und dann den Rindermarkt, die Straße mit der Asamkirche, ach ja, und das Sendlinger Tor, die Sonnenstraße ... Gibt es wieder Trambahnen?“
Jetzt verschlug es mir erstrecht die Sprache. Die Straßennamen, der Rathausplatz, er sprach alles so selbstverständlich aus. Nannte zusätzlich Details, als befände er sich gerade auf einem Spaziergang durch die Innenstadt, als sähe er Bilder, die ich niemals gesehen hatte. Und dann erzählte er weiter: von zerstörten Häusern und Straßen und herumirrendem, hungrigem Leid, von löchriger Angst und müden Soldaten, von wunden Füßen und schmerzhaften Wegen und schließlich von dem einen, unendlich langen. Durch all die Aschezeit hindurch bis ins Land jenseits der Wälder. Zurück nach Hause.
Von diesem Tage an saß der Onkel nicht mehr allein in seinem Theater, wenn ich ihn besuchte. Und vielleicht hatte sich auch die Vorstellung allmählich zu verändern begonnen. Für ihn. Ganz sicher jedoch für mich.
/c/ monika kafka, im grüngefädelten licht, 2008
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Prosa
Sonntag, 24. Juli 2011
Großväter
/c/ foto: dieter vandory
Der eine trug sein Kreuz
rot aufgemalt /man sagte mir/
nicht nur bis Stalingrad
Fern war dort Hippokrates
und längst gebrochen
der Stab des Äskulap
das Heil versickerte im Schnee
/wie klang danach
sein Lautenspiel?/
Der andere entkam
zunächst
zwischen Reißbrett
und Maschinenträume schob
ein Fließband Bombenflieger
nicht nur in Tusche –
Ein vollbesetzter Irrtum
/der Geschichte, wie man spät erfuhr/
trug ihn schließlich doch noch fort
für immer
hinter ausgediente Fronten
ins neue Bruderland
voll von schwarzem Schnee
Väter
waren sie beide doch groß
bleibt nur die Frage
was hätten sie mir wohl erzählt?
/c/ monika kafka, aus: 10 x 10 = 100, ein lyrikprojekt, editon thaleia, 2009
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Trauer
Donnerstag, 14. Juli 2011
zwischen uns - die doppelklinge /m. zwetajewa/
aneinander im sog
wortflutend
geschliffene silben
treiben speere
unter die haut
klar & tiefrot
schürfen verse
an meinem herzen vorbei
spiegeln deine schärfe
so nah
zwischen klingen – doppeln wir uns
/c/ diana jahr, 2011
Die Autorin Diana Jahr schreibt Lyrik und Prosa.
Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien.
Derzeit Arbeit an der Herausgabe einer Lyrikanthologie sowie
ihres ersten eigenen Gedichtbandes.
Die Autorin Diana Jahr schreibt Lyrik und Prosa.
Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien.
Derzeit Arbeit an der Herausgabe einer Lyrikanthologie sowie
ihres ersten eigenen Gedichtbandes.
antwortgedicht:
wessen wille
deiner oder meiner
offenbart sich im gedicht?
zwischen uns
die doppelklinge
aus versuchung und verzicht
zweischneidig
nicht nur die verse die lust
am wort verführerisch
getrenntverbunden
durch die schärfe den schmerz
ertragen als gewinn
/c/ monika kafka, 07/11
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Liebeslyrik,
Texte von FreundInnen
Sonntag, 10. Juli 2011
am kochelsee
mittagshitze. zerrinnende konturen.
im dunstigen libellenlicht
steigen die berge herab
schroffdunkle wände. gekräuselter saum.
die sonnenhaut des wassers
legt sich in feierliche falten
darunter glatte kühle. fische. blau.
doch keine rehe auf den wiesen
vereinzelt kühe und ein pferd
dem bunten malerkopf entsprungen
setzt flächig stille auf den tag
mittagshitze. zerrinnende konturen.
rahmenlos der weiche blick.
der wind schiebt luftige kulissen
die reiterspuren schluckt der kies
/c/ bild und text: monika kafka, im grüngefädelten licht, 2009
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Landschaftsdichtung
Montag, 4. Juli 2011
was in den augen brennt
/c/ foto: dieter vandory
das bildgewordene
wort eines jahres zwei-
farbige schwingen
dazwischen
vernetzte sprachlosigkeit
kahlgeschorene hoffnung und
dein name
/c/ monika kafka, 2011
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Trauer
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