schluesselworte

schluesselworte
abgelegt und fortgegangen (c) Dieter Vandory

Sonntag, 21. August 2011

notte italiana



/c/ foto: thom kafka



Die Nacht legt ihre Netze aus


Im Sternmosaik spazieren
Pfauen und geflügelte Löwen
wachen an goldenen Pforten

Sprich nur mit halber Zunge
Hinter dem Muschelgesicht
wachsen kobaltblaue Worte

in die enthoffte Zeit

 
 
/c/ monika kafka, 2009

Samstag, 30. Juli 2011

Der Weg des Onkels




Nachdem er den Tag verräumt hatte, setzte sich der Onkel auf die Bank vor seinem Haus und blinzelte in die untergehende Sonne. Die Turmuhr schlug sechs Mal und dazwischen knallten Peitschenhiebe. Von einer lärmenden Kinderschar begleitet, würde das Vieh bald die Dorfstraße entlang kommen, angetrieben von Ion, dem Hirten.

Umständlich drehte sich der Onkel, der nicht mein Onkel war, eine Nationale. Zündete sie an, lehnte sich zurück und stieß genüsslich blaue Kringel in die Luft.
So wartete er bei schönem Wetter immer, auch wenn vor seinem Tor schon seit Jahren keine Kuh mehr stehen blieb. Wartete auf diesen Augenblick, da der Tag dem Abend die Hand zum Abschied reichen würde.

Bevor es jedoch soweit war, saß er einfach nur da. Rauchte und lächelte in den schmalen Lichtstreifen am Horizont. Hatte er die Augen geschlossen, schien mir, als würde sich hinter seinen Lidern der Vorhang zu einem geheimen Theater heben, in dem er der einzige Zuschauer war.

Ich habe ihn nie gefragt, was auf dieser Bühne gespielt wurde. Ich setzte mich einfach zu ihm in seine Stille.

Manchmal, wenn er die Augen kurz öffnete und mich sah, lachte er mir zu. Dann hüpfte der kleine Schnauzbart an seiner Oberlippe auf und ab, und die bauschigen Ärmel seines Leinenhemdes legten sich an den Schultern in windige Falten.

Es schwieg sich gut zusammen.

„Der Onkel träumt“, pflegte seine Frau zu sagen.

Ich wusste schon damals nicht genau, was sie damit meinte. Wie kann der Onkel denn träumen, wenn er doch gar nicht schläft, fragte ich mich stattdessen.
Und selbst heute bin ich mir nicht sicher, ob die Tante ihn insgeheim darum beneidete oder ob sie nicht doch leise über ihn spottete.

Sie hatte ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die sie festgesteckt um den Kopf herum trug. In diesem Haarnest verbargen sich ihre Gedanken. Und vielleicht, so malte ich mir weiter aus, auch ihre kleinen Spatzen, die sie nicht hatte großziehen können. Deshalb war sie Kinderfrau geworden, hatte mich lieb und ihre Lieben dennoch stets bei sich.

Für die Tante nämlich, die nicht meine Tante war, war der Tag niemals verräumt. Sie hielt ihn ständig in den Händen. Nur in der Kirche faltete sie ein Gebet dazwischen. Sonntags. Und nur wenn sie danach, noch in Festtagstracht gekleidet, neben ihrem Mann auf der Bank saß, legte sie die Hände in den Schoß. Dann ließen beide, Onkel und Tante, das Leben auf der Straße an sich vorüberziehen: schwatzende junge Menschen, Städter auf Verwandtschaftsbesuch, vereinzelt Fremde und immer häufiger durchrasende Autos.

Eines Tages, ich war schon längst erwachsen, kam auch ich mit einem dieser fremden, schnellen Autos von weither angereist. Ich setzte mich wie früher neben den Onkel auf die Bank in der dünnen Sonne. Nach einer Weile fragte er plötzlich:

„Sag mal, wie schaut es denn heute eigentlich in München aus?“

Ich war so verblüfft, dass ich ihn zunächst nur ungläubig anstarrte. Noch nie hatte er mich während seiner Abendstunde angesprochen.

Was soll ich ihm erzählen von einer Stadt, einer Großstadt, deren Ausmaß an Leben und Weite er, der seine kleinen Tage in seinem kleinen Dorf verbrachte, sicherlich nicht wird begreifen können? Und meine Antwort ließ auf sich warten. Zu lange, denn er fuhr fort:

„Erzähl mir vom Marienplatz. Es ist doch bestimmt wieder alles aufgebaut und schön hergerichtet worden. Beschreib es mir. Und dann den Rindermarkt, die Straße mit der Asamkirche, ach ja, und das Sendlinger Tor, die Sonnenstraße ... Gibt es wieder Trambahnen?“

Jetzt verschlug es mir erstrecht die Sprache. Die Straßennamen, der Rathausplatz, er sprach alles so selbstverständlich aus. Nannte zusätzlich Details, als befände er sich gerade auf einem Spaziergang durch die Innenstadt, als sähe er Bilder, die ich niemals gesehen hatte. Und dann erzählte er weiter: von zerstörten Häusern und Straßen und herumirrendem, hungrigem Leid, von löchriger Angst und müden Soldaten, von wunden Füßen und schmerzhaften Wegen und schließlich von dem einen, unendlich langen. Durch all die Aschezeit hindurch bis ins Land jenseits der Wälder. Zurück nach Hause.

Von diesem Tage an saß der Onkel nicht mehr allein in seinem Theater, wenn ich ihn besuchte. Und vielleicht hatte sich auch die Vorstellung allmählich zu verändern begonnen. Für ihn. Ganz sicher jedoch für mich.



/c/ monika kafka, im grüngefädelten licht, 2008

Sonntag, 24. Juli 2011

Großväter

/c/ foto: dieter vandory


Der eine trug sein Kreuz
rot aufgemalt /man sagte mir/
nicht nur bis Stalingrad

Fern war dort Hippokrates
und längst gebrochen
der Stab des Äskulap

das Heil versickerte im Schnee
/wie klang danach
sein Lautenspiel?/

Der andere entkam
zunächst

zwischen Reißbrett
und Maschinenträume schob
ein Fließband Bombenflieger

nicht nur in Tusche –

Ein vollbesetzter Irrtum
/der Geschichte, wie man spät erfuhr/
trug ihn schließlich doch noch fort

für immer

hinter ausgediente Fronten
ins neue Bruderland
voll von schwarzem Schnee

Väter
waren sie beide doch groß
bleibt nur die Frage

was hätten sie mir wohl erzählt?



/c/ monika kafka, aus: 10 x 10 = 100, ein lyrikprojekt, editon thaleia, 2009

Donnerstag, 14. Juli 2011

zwischen uns - die doppelklinge /m. zwetajewa/


aneinander im sog

wortflutend
geschliffene silben
treiben speere
unter die haut
klar & tiefrot
schürfen verse
an meinem herzen vorbei
spiegeln deine schärfe
so nah

zwischen klingen – doppeln wir uns

/c/ diana jahr, 2011


Die Autorin Diana Jahr schreibt Lyrik und Prosa.
Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien.
Derzeit Arbeit an der Herausgabe einer Lyrikanthologie sowie
ihres ersten eigenen Gedichtbandes.



/c/ foto: dieter vandory



antwortgedicht:

wessen wille
deiner oder meiner
offenbart sich im gedicht?
zwischen uns
die doppelklinge
aus versuchung und verzicht

zweischneidig
nicht nur die verse die lust
am wort verführerisch
getrenntverbunden
durch die schärfe den schmerz
ertragen als gewinn


/c/ monika kafka, 07/11

Sonntag, 10. Juli 2011

am kochelsee



mittagshitze. zerrinnende konturen.

im dunstigen libellenlicht
steigen die berge herab

schroffdunkle wände. gekräuselter saum.

die sonnenhaut des wassers
legt sich in feierliche falten

darunter glatte kühle. fische. blau.

doch keine rehe auf den wiesen
vereinzelt kühe und ein pferd

dem bunten malerkopf entsprungen
setzt flächig stille auf den tag

mittagshitze. zerrinnende konturen.
rahmenlos der weiche blick.

der wind schiebt luftige kulissen
die reiterspuren schluckt der kies



/c/ bild und text: monika kafka, im grüngefädelten licht, 2009



















Montag, 4. Juli 2011

was in den augen brennt

/c/ foto: dieter vandory



das bildgewordene

wort eines jahres zwei-
farbige schwingen

dazwischen

vernetzte sprachlosigkeit
kahlgeschorene hoffnung und
dein name



/c/ monika kafka, 2011

Donnerstag, 16. Juni 2011

in der langen allee

/c/ foto: heinz kurt rintelen


in der langen allee dauert auch
der regen lang unter den bäumen
hörst du jedes blatt

gestern noch der staubige feldweg
deiner kindheit stehst du heute fest
auf dem nassen asphalt

vorbei ziehen fahrradfahrer
und lassen dich
mit den echsen zurück

im geäst über dir ein krähennest
der traktor auf dem feld
holt die ernte ein

für die kinder bleibt keine zeit mehr
zum spielen


/c/ werner weimar-mazur



dazu ein antwortgedicht:


Nachts

geht die Zeit auf Stelzen
und Schwarzlöchern
entsteigt durchholztes Vergessen

Aufgefaltet
liegen die Jahre die langen
Zöpfe entflochten
und stummen dich an

Kein Mond
keine Sterne

und am Morgen
ein blasses Gesicht

 
/c/ monika kafka, 2011

 



Der Autor Werner Weimar-Mazur schreibt Lyrik und Prosa.
Veröffentlichungen in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien.
1995 erschien sein erster Lyrikband "Tauch ein" im Waldkircher Verlag.
Derzeit Arbeit am zweiten Lyrikband und an einem Roman.
www.weimar-mazur.de


Mittwoch, 15. Juni 2011

ankündigung

liebe leserInnen,

ab sofort werde ich jeweils zur monatsmitte hier auch texte von kollegenInnen präsentieren, texte, die mich berührt bzw. beeindruckt haben.
Ich lade euch ein, mit mir auf entdeckungsreise zu gehen und freue mich wie immer auf rückmeldungen!

herzlichst,
monika

Mittwoch, 8. Juni 2011

typografisches

der lack ist ab
/c/ foto: dieter vandory



merkst du

wie es dunkelt
zwischen den zeilen?

eben noch sonne
mittendrin
schüttet der abend sein pech
aus vollen kübeln

vielleicht sollten wir
eine andere schrift wählen
marie

und den satz 
verändern



/c/ monika kafka, 06/11






Montag, 6. Juni 2011

nachtgedanken

/c/ foto: dieter vandory



nicht was du träumst

möchte ich wissen

ob du lächelst
wenn dein mund
meinen namen berührt

perlensilber

deine glieder durchzittert
im violetten
gefieder der nacht



/c/ monika kafka, 06/11

Donnerstag, 2. Juni 2011

Jahrestag




es blüht um dich herum
auch ich
hab rosen mitgebracht

die sonne lacht
ein vogel singt

vor deinem blauen blick
würd heut der himmel selbst
erblassen

nach bestem wissen habe ich
gelebt dies jahr
mein vater

es war mal gut
dann wieder schlecht
man lernt sich zu begraden

es ist nur etwas kälter jetzt
in meiner welt
trotz vielfach sonne

es fehlt
dein gutdrehendes wort
dein lachen deine wärme

ich werd mich weiterhin
bemühn gewissenhaft zu leben
du hast dich selten nur geirrt

und ich will glauben
einmal mehr
dass sich der schmerz wird legen



/c/ text und bild: monika kafka, 06/11

Sonntag, 29. Mai 2011

Lichtleicht

/c/ Foto: Thom Kafka


Lichtleicht

liegt der Morgen
in meinen Armen
spät entflohn
dem Geröllfeld der Nacht

ich glätte
die rissigen Stunden
räum Stein um Stein bei Seite
streu Wortrosen
auf brennende Wunden

entflechte
die taumelnde Zunge
du lächelst
wie du doch lieben kannst



/c/ Monika Kafka, 05/11

Freitag, 20. Mai 2011

In Rotmohnnächten

/c/ Foto: Tabea Vahlenkamp



brechen wir auf
das Lippensiegel und lieben uns
den Hunger hautunter

glätten rissige Zweifel
und betten sie
in luftige Versprechen

vergessen
alle Namen
uns

zu sagen

in Rotmohnnächten
wären wir anders wer
glaubt das schon?




/c/ Monika Kafka, 2010

Dienstag, 17. Mai 2011

barocker speichenrundbogen

/c/ foto: dieter vandory



im halbrund
schlafen die lieder

fehlende zeilen ergänzt
der wind

du musst die ohren spitzen

aus grünlichem dämmer sternt
sich das silberbeladene

wort
um wort

füllt es dir auf
die mangelnden stunden

und du singst dich fort
im überfluss



/c/ monika kafka, 2011

Mittwoch, 11. Mai 2011

in großmutters gärten

/c/ dieter vandory


zu weilen noch
im blätterhaus

erinnerungsrahmen
für wechselnde bilder

im halblicht des mondes
und der lupinen fällt

mein name durchs offene fenster
singt mich die stimme

herzweit

pappelwind rau
aus den wäldern der ruf

einer eule
und hinter den gärten

die sehnsucht auf schienen

als ich ging
krümmte sich der rosenstock

unter großmutters augen
erdwärts


/c/ monika kafka, 2009

Dienstag, 3. Mai 2011

kastaniennacht

/c/ foto: dieter vandory


für ej

 
kastaniennacht
vielarmig entflammt darin
dein blütenkuss



/c/ monika kafka, 05/11







Dienstag, 26. April 2011

Auf Bahnhöfen


Nirgendwo sonst begegnet Leben ungeschminkter als an diesen Orten. Lautes und Leises vermengt sich hier auf eine Weise, die alles offenbart und nichts preisgibt.
Und kein anderer Ort webt mir ähnlich die Geschichten: vielfädig schillernd liegen sie im steinigen Bett, getrennt voneinander und doch miteinander, festgehalten vom stählernen Korsett der Gleise. Man müsste sie bergen, denke ich mir oft, ihnen eine Stimme geben, und sei es nur die eigene.

Melancholie der Bahnhöfe.
Wiedergefundene Lippen spazieren Hand in Hand mit schamhaft abgelegten Blicken. Neben längst verblassten Worten kauern gestrauchelte Erwartungen. Zusammengefaltet, abgenutzt stummen sie sich hin. In zwielichtiger Ecke friert ein abgestandenes Lächeln, grell ausgeleuchtet schmiert sich eine Träne über gepudertes Gesicht. Getrennte Hände und getrennte Leiber. Im Rahmen eines Fensters, einer Tür die Hoffnung, leichenblass, im Angesicht verdrängten Wissens, dass man niemals mehr derselbe ist, wenn man den Zug dann irgendwann verlässt.
Liegengelassen auch die Rose, die Bank verwaist in Rot, darüber tanzt hysterisch Lachen, im Zischen einer Cola Dose.

Gefühle kommen an und fahren ab. Im pfeifenden Rhythmus der Lokomotiven. Doch das war früher. Trieb-wagen ist jetzt. Und manchmal wagt man kaum, sich dem zu stellen und hinzuschaun. Stattdessen zeigt man Nonchalance. Und Contenance, zitronengelb, wälzt sich vorbei an kussverschlungenen Mündern. Es riecht nach allem und nach nichts. Und das nach viel. Nach Einsamkeit. Verirrt wie eine dieser Tauben, die manchmal Federn lässt ...


(c) foto und text: monika kafka, 2010

Samstag, 23. April 2011

ostern

evangelische stadtpfarrkirche mediasch



himmlischer morgen
amsel und kirchturmglocke
im sonntagsduett

(c) text und bild: monika kafka, 04/11


ich wünsche allen meinen freunden und lesern ein

schönes osterfest!


















Dienstag, 19. April 2011

vom schreiben

(c) dieter vandory




du kennst das land
aus dem die worte wachsen

rissig muss es sein
und wie entkernt

und tausend lieder
müssen darin schlafen


bevor ein sonnenwind
darüber streift

und silben formt
musst du den hunger tragen

die dürre schmecken
und das leid

und deine seele
ausliefern dem zweifel

du darfst nie satt sein
niemals hoffen

dass je ein wort
dich findet zufällig

geboren wird es nur
aus qualen

bevor sichs fügt
/vielleicht/
in ein gedicht



(c) monika kafka, 2011

Samstag, 9. April 2011

und ich sag ...


(c) foto: dieter vandory




und ich sag dir den frühling
auf die lippen wie er herüber
rötet ins schlafende sprödland

sich einwiegt
in wartende ritzen und
lichtleicht leben umquellt

von antwort
durchglänzt flügelt
dein wintermund





(c) monika kafka, 04/11

Montag, 28. März 2011

was man erwarten kann

(c) foto: dieter vandory


was man vom tag erwarten kann vielleicht
kein bilderbuchlächeln

auch keinen himmel
voller geigen

nur dass er nicht
auf tönernen füßen stehe

und ein handwarmes wort
das einer sprechen möge

vielleicht
nicht allein zu sich selbst



(c) monika kafka, 03/11

Donnerstag, 24. März 2011

Aschezeit

(c) Foto: Dieter Vandory

Hörst du den Wind mein Herz du weißt
er jagt sich selbst in herrenlosen Räumen
durch Feld und Wald und leere
Scheunen füllt er mit schwarzem Sand

Es regnet Aschezeit in meine Träume

Ich steh als Bettler vor dem Tor das nichts
verschließt als einen Kindheitsgarten
mit Puppenspiel im Maulbeerbaum
und Tage voller Warten

Im Kupfergrün liegt noch das Schloss
umrankt von rostigem Vergessen
hör nur der Wind mein Herz er reißt
die Zeit mir aus den Händen

Und irgendwo weint jetzt ein Kind
über verbrannten tauben Wegen
indes der heimatlose Wind du weißt
er wird sich wieder legen


(c) Monika Kafka, aus: im grüngefädelten licht, 2009

Mittwoch, 23. März 2011

lippenbrand





ins bleiche licht
des spiegels gezogen die schneise
in rot

züngelt das ungesagte von
lippe auf lippe gelegt
knistert es sich fort

und das gezähmte
wangenwort
lehnt staunend in der ecke


(c) monika kafka, 03/10


Dienstag, 15. März 2011


Sonntag, 13. März 2011

und auch etwas rot

(c) Foto: Roger Dautais

à Roger, avec amitié



und auch etwas rot
gerettet
durch den scharfkantigen winter

kirschworte zum beispiel
abdruck eines herzmundes
vielleicht

ein fetzchen mohn
im mantel des windes

eingenistet
wider jede vernunft
etwas rot

bleibt

(c) Monika Kafka

Montag, 7. März 2011

in murnau, bei gabriele



(c) Foto: Dieter Vandory



erinnerung an eine nie stattgefundene begegnung


entkernt kehr ich zurück zu dir.
wo deine seele in die farben floss, ergießt sich heute nebel von den schwarzen bergen. mit meinen silbersilben im gepäck durchschreit ich weiße räume. worte will ich weben. am ufer stehend. klarheit finden in diesem unberührten wasser. doch schweigt der see mich an. schiebt hin und wieder eine sanfte welle nur wie einen seufzer mir zu füßen. wir verstehen einander. und meine silben bleiben fest verschnürt.

später dann seh ich dich an. und suche meinen blick in deinem zu ergründen. so sprich, du schwesterseele, sprich zu mir, wie du es doch so oft getan. ich warte schon zu lang. ins falsche grün gehüllt wie einst auch du. wie lang kann man im sehnen wohnen? sag, und weinen, bis dichte wimpernschatten wachsen? wie oft muss man zertrümmern, was man liebt? und kaltes sprechen so erwärmen, dass es wieder blüht?

ich höre deine worte, die eine andere jetzt spricht. von einer dünnen silberscheibe perlt nacht für nacht mir deine trauer, dein hoffen, deine freude. die stimme ist es nicht. es sind die worte, die mich so tief berühren. ich bin wie du in sehnsucht eingehüllt und stolper blind durch meine träume.

doch heut und hier bleibst du mir stumm. wie lang ich auch vor deinem bild verweile. du atmest wie der see in seufzern nur. und wir verstehen uns. einmal mehr. greif ich zum stift. mich zu befrein für eine weile. wie du es damals hast getan: durch farbe.


(c) Monika Kafka, 03/11

Mittwoch, 2. März 2011

Claus Stephani - Aus aktuellem Anlass - II

Es hört und hört nicht auf!
Obwohl das Landgericht München erste Schritte unternommen hat, gehen die Verdächtigungen und medienwirksam inszenierten Kampagnen gegen Claus Stephani weiter.
Im folgenden gebe ich hier eine weitere Stellungnahme wieder.
Weder die Neue Zürcher Zeitung noch die Siebenbürgische Zeitung wollten diese Entgegnung Stephanis abdrucken.
Der Leser möge sich sein eigenes Urteil bilden.

Wer war eigentlich IM „Marin“?
Eine Stellungnahme zu einer neuen „Enttarnung“

In der letzten Ausgabe der Siebenbürgischen Zeitung vom 20. Februar 2011 wurde verkündet: „IM ‚Marin’ als Claus Stephani identifiziert“.
Link zum Text
Diese Nachricht stützt sich auf eine briefliche Mitteilung von Dr. Dragoş Petrescu, Vorsitzender der C.N.S.A.S., an Richard Wagner, veröffentlicht im „blogspot“ der „Halbjahresschrift“:
Link zum Text
Diesem Brief sind dann von der Redaktion der hjs-online verschiedene Dokumente ungeklärter Provenienz beigefügt, die laut C.N.S.A.S., aus einem allgemeinen „Fond documentar“ (Aktenfundus) stammen. Der Leser würde sich suggestiv dann schon einen Reim auf das so Kolportierte machen.
Auf dieselbe Quelle stützt sich auch die Neue Zürcher Zeitung vom 9. Februar 2011, die der Verfasser des oben erwähnten Kurzberichts in der Siebenbürgische Zeitung indirekt zitiert.
Da ich meine Akte aus der Zeit von 1969-1990 immer noch nicht kenne, kann ich auch nicht wissen, woher der mir zugeschriebene IM-Name „Marin“ kommt. Ich weiß aber, dass ich niemals eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) als „Marin“ unterschrieben habe. Dieser „Marin“ bin ich nicht – was immer man auch als angebliche „Beweise“ vorzubringen versucht.
Auf meine Anfrage an die C.N.S.A.S., wieso das Kollegium zu dieser Erkenntnis kommen konnte, wurde mir mitgeteilt, dass sich die Unterlagen dazu in einem sogenannten „Fond documentar“ (Aktenfundus) befinden würden. Weiter heißt es in diesem Brief, dass sie nicht aus meiner Akte 1969-1990 stammen. Denn diese wurde immer noch nicht aufgefunden.
In demselben Aktenfundus befindet sich auch die angebliche „Quittung“, mit der Richard Wagner (Berlin) in den Medien hausieren ging, um mich als „IM ‚Moga’“ und angeblichen Geldempfänger der Securitate an den medialen Pranger zu stellen. Es ist ein Pool ungeklärter Akten („Dosar problemă“), die sich auf die deutsche Minderheit in Rumänien beziehen – wie mir Dr. Virgiliu-Leon Ţărău, Vizepräsident der C.N.S.A.S.-Behörde, brieflich mitteilte.
Die erwähnte, von Wagner beim Landgericht München 1 vorglegte angebliche „Quittung“ erwies sich dann im Verfahren vom 17.01.2011 als ein Falschdokument. Richard Wagner wurde verurteilt und muss die vorläufigen Konsequenzen seiner Verleumdung gegen mich tragen.
Als die Kampagne gegen mich losgetreten wurde – zuerst von William Totok, danach von Dieter Schlesak und Prof. h.c. Dr. Peter Motzan – habe ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Februar 2010, Seite 35, in meinem Bericht „Schwester Lüge – Bruder Schmerz“ offen gelegt, wie ich am 30. Mai 1961 von der Securitate „angeworben“ wurde. Nach Verhaftung, Verhör und Androhung mit Dunkelarrest, wurde ich gezwungen, eine sogenannte Verpflichtungserklärung („angajament“) zu schreiben. Link
Auch heute, nach knapp 50 Jahren, kann ich sagen, dass ich damals dadurch niemandem geschadet habe. Wegen meiner Verweigerung, als IM mitzumachen, wurde ich – nach verschiedenen Erpressungsversuchen – im 2. Studienjahr 1961/62 von der Universität, wo ich damals Germanistik studierte, exmatrikuliert. Bereits am 15. November 1962, hatte ich die Verbindung zu den Sicherheitsorganen unterbrochen („a întrerupt legătura cu organele noastre“), wie es im „Raport“ heißt. Und danach, am 12. September 1963, wurde ich von der Securitate wegen “Unaufrichtigkeit, Verweigerung und wiederholtem Nicht-Erscheinen zu festgelegten Treffen entlassen“. Im rumänischen „Raport“ heißt es „abandonat“.
Das alles ist in meiner Akte 1961-1968/69 nachlesbar, die vor mir Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für Kultur und Geschichte Südosteuropas, und William Totok eingesehen haben. Und dieselben bei der C.N.S.A.S. akkreditierten Forscher haben in eben dieser Akte aus den 1960er Jahren auch lesen können, dass mich die Securitate nach meiner Absage und Verweigerung zur Mitarbeit – auf eine Anzeige hin – jahrelang als angeblichen „westdeutschen Spion“ überwacht und bespitzelt hat. Und nicht nur mich sondern auch alle meine damaligen Freunde und Bekannten. Meine Eltern und meinen Bruder in Kronstadt. Sogar Mädchen, die ich zufällig kennen lernte. Es wurden Telefongespräche abgehört und protokolliert, Informationen über mich eingeholt u.a.m. Und was dabei der eine oder andere Bukarester Hochschullehrer, Berufskollege oder Redaktionschef so über mich gesagt haben soll – all das steht auch in meiner Akte 1961-1968/69, für jeden akkreditierten Forscher nachlesbar. Auf Spionage aber stand damals die Todesstrafe oder bestenfalls lebenslanges Gefängnis.
Im „Observator Cultural“ (Bukarest) stellte vor einiger Zeit Ana-Maria Pop Fragen an selbsternannte Richter und verbale Henker, als eine Meute der sensationsgeilen Journaille über den verstorbenen Schriftsteller Adrian Marino herfiel:
Wurde das Leben einer bestimmten Person konkret geschädigt?
Ist jemand dadurch sogar ins Gefängnis gekommen?
Und warum melden sich nicht die angeblichen Opfer dieses angeblichen Informanten, um ernstzunehmende Fakten und glaubwürdige Beweise ihres Leidens offen vorzulegen?
Link
Bisher dominieren Pauschalurteile und allgemeine Behauptungen, manchmal auch aus zweiter oder dritter Hand. Oder einfach Unterstellungen, wo man meint, man müsse sie nicht belegen, weil sie sich verselbständigen und dann auch so geglaubt werden. Dazu stellt Markus Bauer in der NZZ vom 09. Februar 2011 fest, dass diese sogenannte „Aufarbeitung häufig äusserst willkürlich und an bereits in Rumänien existierenden Freundes- und Feindeslinien entlang verläuft“.
Link zum Text
Daher abschließend noch einige Fragen, auch wenn man mir jetzt unterstellt, ich wolle ablenken.
Hat sich einer der „Aufklärer“ bisher herangewagt an die eigentlichen Galionsfiguren jener Jahre der Diktatur? An die Vertreter der parteielitären deutschen Nomenklatur Rumäniens oder an die hochgestellten Offiziere bei Miliz und Securitate, wie z.B. Milizgeneral Steskal in Reschitz/Reşiţa oder Securitategeneral Schnellbach in Temeswar/Timişoara? Und wer war z.B. der Oberst Wagner, dem IM „Karl Fischer“ Anfang der 1960er Jahre über mich berichtet hat? Und die vielen Anderen aus der roten Prominenz?
Vor allem solche Fragen muss man stellen.
„Peştele la cap se împute” (Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken), heißt es auf rumänisch. Warum fasst niemand im Zuge dieser hektischen und medienwirksam lancierten Aufklärungskampagne nach den „Köpfen“ jener ganz „dicken Fische“? Wer hält immer noch schützend seine Hand über diesen trüben, roten Tümpel der Vergangenheit?
Claus Stephani

Sonntag, 27. Februar 2011

ich denke mich



(c) Foto: Dieter Vandory




Ich denke mich
so wie ich war und nicht
wie ich bin

(taumelnde Feder
im Frühlicht später Jahre)

Als du mir Zweige flüstertest
sang der Herzvogel mich
bunt

und offen
trug der Tag das Haar
vom Sonnenkamm durchglänzt

wehte der Wind mir
Ahnung

Als du
mich flüstertest hatte das Dunkel

keinen Namen





(c) Monika Kafka, 02/11

Sonntag, 20. Februar 2011

Beim Kloster Stănişoara


(c) Hans Dieter Vandory




Zwischen Buchenwäldern
und schroffdunklen Felsen geht
die Zeit

schmalgewandet
monoton

reichen die Mönche
ihr kleines Brot
dazu eine Handvoll Gebet

In die verkammerte Stille steigt
der Wind
und mit ihm ein hölzerner Ton

Im Rhythmus der Toaca
verglimmt das Licht

und dem müden Wanderer
wird der stummschwarze Himmel

weit




© Monika Kafka, 2009

Montag, 14. Februar 2011

Junger Sommer

(c) Foto: Dieter Vandory


Für Elisabeth


Als der Sommer noch grün schmeckte, schrieben wir mit Sehnsuchtstinte Briefe in den weitgespannten Himmel. Die Antworten des zweifelhaften Kuckucks lachten wir in den Wind, lauschten lieber dem Gras, das zwischen unsern Fingern wuchs. Langsam, stetig. Schob der Fluss sein Wasser. Unbekümmert überhüpften wir die Steine, diesen zufälligen Makel in unserm Sonnenmeer. Hand in Hand. Durchkämmten wir die Zeit, auch wenn die Hände nur selten sich dabei berührten. Wir waren ohrgesteuert. In der Laube flüsterte die Nacht aus tausend Mündern. Ihre Geheimnisse erzählten wir einander noch ins Telefon. Doch das war später.

In jenem grünen Sommer schlief das Dunkel in den Mauerritzen. Und Gräber hatten nur die anderen. Nichts fürchteten wir mehr als diese schwarzen Büffel, die uns jederzeit und allerorts begegnen konnten.

Versprochen haben wir uns nichts. Gehalten hat es dennoch. Mehr als dreißig Jahre schon. Fügt sich dein Ebenholz in meinen Birkenblick.
Und über allem schwebt noch immer dieses Wort, der Segen, von deiner Mutter einst gesprochen. Für dich und mich.
In jenem grünen Sommer.

(c) Monika Kafka, 2011

Donnerstag, 10. Februar 2011

Madagassischer Reis

Für B.

Der Reis, sagtest du, sei heilig,
er komme direkt von Gott

ich mochte die Beilage nicht

Anamamy, sagtest du,
hießen dazu die süßen Blätter

ich verschlang deine dunklen Worte

Er verleiht dir Kraft, sagtest du ...

zum Vergessen reichte sie nicht


http://www.youtube.com/watch?v=AMPdykrcho4



(c) Monika Kafka, 2011

Dienstag, 1. Februar 2011

von februar zu februar

(c) Foto: Tabea Vahlenkamp

und selbst wenn es eist
/hin und wieder/
niemals lässt sich verhindern
das blühn

(c) Monika Kafka, 2/11

Sonntag, 16. Januar 2011

Wiener Notizen

(c) Thom Kafka


Der Sommer schmeckt nach Heidelbeereis.
Im dürstenden Gras zu Füßen der Gloriette malen wir Wolken in den weitgespannten Himmel. Es tropft. Das Schmelzende in unseren Händen, die Süße kühlt die heißen Lippen nicht.
Heraufwabert von fern die Stadt. Dunstiger Atem schwappt aus den Mündern der Touristen, die auf der Jagd nach Sisiträumen doch immer nur sich selbst begegnen. Unermüdlich, selbst zur Mittagszeit, drehn sie ihre Fiakerrunden.

Am Schönbrunner Gelb bricht sich die Sonne einen Zacken aus. Nimmt es gelassen hin. Schon viel zu lang im Bund mit all den toten, hoch gekrönten Häuptern weiß sie längst, wem sie gebührt, die Ehre. Auch heute noch. Und über glänzend weißen Kies legt sie ihr müdes Lächeln.

Später erschlurfen wir die Innenstadt. Aus durchgeknetetem Asphalt drängt sich hervor, was die Jahrhunderte zuvor hineingetreten. Es stinkt nach blauem Blut und nach Verrat, nach Pest und Heiligkeit. Dem ganzen Pferdemist in einer goldnen Türkenkugel. Die Zeiten gehen Hand in Hand. Wie du und ich, stets brav entlang des Grabens. Ein jeder ist nicht Augustin. Nur unser Lachen tanzt voraus, im Walzertakt, als hätt es kein Zuhaus.

Zuhaus ... Es ist mir nah, wie nie zuvor. Und weht mich an in all den Worten, die ich so lang schon abgelegt. Durchzieht die Gassen, hutscht über Stiegen. Mit jedem einzelnen erhasch ich einen Rest meines faschierten Siebenbürgen.

Fleischerei und Putzerei, Sodawasser und die Jause, Mistkübel und Kruzitürkn, Jesses na, verankert bleibt die Uhr, ist die Zeit auch abgelaufen.
Karfiol, Fisolen, Paradeiser. Marillen, gnä´ Frau, wollen`s net kosten? Und abends lege ich den müden Kopf aufs federleichte Polster. Im Kasten schwitzt das Nachtgewand zusammen mit den Leiberln.
An Schlaf ist nicht zu denken. Der Tag kühlt niemals aus in diesem ersten unsrer Sommer, die Kapuzinergruft hat längst geschlossen und wir, wir sind so voller Leben.

Januarmorgen. Jahre später.
Kaltgepreßte Luft hängt in den schwarzen Bäumen. Neptuns Brunnen schweigt im Schnee. Hinter der dünnen Nebelwand ist die Gloriette kaum zu erahnen. Die Wege sind vereist. Darunter festgefroren glänzt der Kies.
Von deiner sicheren Hand geleitet, geh ich mit festem Schritt drüber hinweg ...
(c) Monika Kafka, 2011

Dienstag, 28. Dezember 2010

impromptu

(c) Zeichnung: Olivia Quintin


jahre später
fällt es dir wieder ein:

die fremde hand auf deiner
dir fremd gewordenen haut-

erinnerungen weckend
unter dem viel zu weiten hemd

rubinrot

rankte sich die nacht
um langstielige worte

du trankst und trankst berauscht

während draußen flocken tanzten
und taumelten als wärn sie trunken

jahre später
fällt es dir plötzlich auf:

ein gefälliges gebrauchsstück
war das und eiswasser der wein


(c) Monika Kafka, 12/10

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Und manchmal gab es auch Orangen ...

Trude Vandory, Kirchenburg in Frauendorf, Holzschnitt



Tagsüber hatte es wieder geschneit. Dicke, wollige Flocken legten sich unbeirrbar auf den kleinen Ort. Schicht um Schicht.
Mit der Dämmerung war die Kälte gekommen. Die gläserne Luft raubte einem beinahe den Atem und der gefrorene Schnee ächzte unter jedem Schritt. Von einem fernen Gehöft bellte ein Hund. Sonst war es still.

Auf der spärlich beleuchteten Dorfstraße stapften drei Gestalten durch die anbrechende Nacht. Vorbei an dunklen Häusern, aus deren Kaminen milchiger Rauch aufstieg, vorbei an Höfen, die so verlassen wirkten wie die Glühbirnen, die sie beleuchten sollten und deren Licht nur klein und dünn schimmerte. Hinter den verwitterten Rollläden konnte man die festlich geschmückten Weihnachtsbäume in den Guten Stuben nur erahnen.

Wie so oft war der Bus einfach nicht gekommen. Eine Erklärung dafür gab es nicht.
Ein zwei Kilometer langer Fußmarsch trennte Mutter und Kinder noch von der kleinen Wehrkirche inmitten des Dorfes. Zwei Kilometer durch die eisige und eigentlich verbotene Nacht, die der aufgeklärte Sozialismus am liebsten abgeschafft hätte. Er bedurfte ihrer nicht. Die Menschen wurden nicht gefragt.

„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging ...“

Während der kleine Junge sich fest an die Mutter schmiegte und nur ab und zu wagte, in einen der Schneehaufen zu hüpfen, redete das Mädchen unaufhörlich vor sich hin. Sein Wunsch, beim Krippenspiel dabeizusein, hatte sich auch in diesem Jahr nicht erfüllt. Dabei wäre es so gerne die Maria gewesen oder zumindest ein kleines Schäfchen.
„Oder ein Mäuschen, Mama, wenigstens ein Mäuschen, das hat es im Stall von Bethlehem sicherlich auch gegeben“ sagte es leise. Und leichter Trotz klang mit.
Stattdessen sollte es nun die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vortragen mit seiner klaren, sicheren Stimme. Darauf war es schon stolz, dennoch blieb das ein schwacher Trost. Eine Geschichte vortragen und eine Geschichte spielend erleben – das war eindeutig nicht dasselbe.

„Und Mama, kommt das Christkind heuer ganz bestimmt auch zu uns nach Hause?“ fragte der kleine Junge mittendrin. „Werden wir auch wieder einen Weihnachtsbaum haben?“
Selbst die Kinder wussten bereits, dass es in jenen Jahren durchaus keine Selbstverständlichkeit war, pünktlich zum Fest einen zu bekommen, was keine Frage des Geldes war.

Seit Tagen schon verfolgten die Geschwister das Geschehen im Hause mit größter Aufmerksamkeit.
Da wurde geputzt und gekocht, gebacken und getuschelt – die Kinderfrau und die Mutter hatten plötzlich ganz viele Geheimnisse und alle Hände voll zu tun. Nur im Verhalten des Vaters schien nichts außergewöhnlich zu sein. Er kam wie immer spät nach Hause, spielte und lachte mit ihnen und brachte hin und wieder Geschenke von den Bauern mit, deren Vieh er im Laufe des Jahres behandelt oder gar gerettet hatte. Jetzt, zu Weihnachten, nachdem die Schweine geschlachtet waren, wurde auch er aus Dankbarkeit mit Wurst und Fleisch bedacht.
Doch so sehr sich die Kinder auch anstrengten, alles genauestens zu verfolgen, was rund um sie geschah, einen Tannenbaum hatten sie nicht entdecken können. Weder auf dem Balkon, noch im Keller. Einigermaßen beruhigt hatten sie festgestellt, dass sich im großen Kleiderschrank der Eltern zwar bunte Päckchen häuften, also konnte Weihnachten wohl nicht ganz ausfallen, doch was war dieses Fest ohne Baum? Ohne schimmernde Kugeln und leuchtende Kerzen, ohne Lametta und Salonzucker, von dem am Ende der Feiertage nur glänzendes Stanniol übrigblieb und an vergangene Süße erinnerte? Und ohne Orangen, den duftenden, süßherben Früchten aus einem fernen Land?

„Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war ...“

Als sie am Haus des Lehrers vorbeigingen, wehte ihnen ein leichter Wind die ersten Glockentöne entgegen. Nun war es nicht mehr weit.
Bald darauf erreichten sie das Haus des Schneiders, und da war auch schon die kleine Brücke, hinter der sich die Kirche und die sie massig umringende Mauer schemenhaft in der Dunkelheit abzeichneten. Das angrenzende Schulgebäude stand ebenso verwaist da wie die umliegenden Häuser. Sie waren wirklich spät dran.

„ ... denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“

Das große Eichentor öffnete sich mit einem leichten Knarren. Sie betraten den Kirchhof, eilten dem überwölbten Eingang zur Kirche entgegen, vorbei an den Speckkammern und dem fast schon geheimen Stübchen, in dem samstags der zwar verbotene jedoch tolerierte Religionsunterricht stattfand.
Wie oft schon hatten diese Mauern im Laufe der Jahrhunderte Schutz und Geborgenheit geboten und das nicht nur am Weihnachtsabend? Wer hätte an diesem Winterabend geahnt, daß sie einmal selber schutzlos dastehen würden, angewiesen auf barmherzige oder edle Spendengelder – je nachdem – von denen, die sie verlassen sollten, um ihr Glück in der Fremde zu suchen, in einer Gemeinschaft, die nicht die ihre sein würde?
An diesem Abend freilich war davon noch nichts zu spüren und auch nicht daran zu denken. An diesem Abend war alles so wie immer.

Auch wenn die drei Verspäteten wussten, was sie beim Betreten der Kirche erwartete, verschlug es ihnen wie jedes Jahr erstmal den Atem.
In vollkommener Stille und erhaben in seiner Schlichtheit stand er da, vor dem Altar: der Christbaum. Geschmückt mit Äpfeln, Nüssen und Strohsternen, war er eingetaucht in mildes, hundertfaches Kerzenlicht, das sich in staunenden Kinderaugen spiegelte.
In Festtagstracht gekleidet, kunstvoll bestickten Kirchenpelzen und langen Borten, saßen Männer und Frauen streng voneinander getrennt in ihren Bankreihen.
Als die kleine Orgel erklang und die Gemeinde „Vom Himmel hoch“ anstimmte, ahnten alle, dass sich nun tatsächlich das Wunder von Weihnachten, wenn auch nicht wiederholen, so doch in der Erinnerung daran ereignen könnte und somit niemals verloren sein würde.

Als die Mutter mit ihren Kindern spätabends in den Bus stieg und die gut zwei Kilometer heimwärts fuhr, nahmen sie das Licht der kleinen, alten Dorfkirche sowie die Hoffnung auf friedliche Tage mit nach Hause. Vater würde – wie jedes Jahr – das Glöckchen läuten und danach erstaunt das Fenster schließen, durch das ein letzter, kalter Windzug in die warme Stube drängte, gleich dem verirrten Flügelschlag eines fernen und doch anwesenden Engels. Der Weihnachtsbaum leuchtete sicherlich, wie immer. Und vielleicht würde es auch wieder Orangen geben und jenen Duft, in den Weihnachten damals getaucht war, den fernen, geheimnisvollen Duft von Bethlehem ...


(c) Text und Bild: Monika Kafka


Ich wünsche allen meinen Freunden und Lesern eine schöne, friedvolle Weihnachtszeit!

Eure Monika

Montag, 20. Dezember 2010

aus stille

(c) Foto: Dieter Vandory
aus stilleschneid ich das halbwort

setz es aus
dem winterlichen wind

auf seinem rücken treibt
es zu dir hin hör nur

in deiner muschel
rundet die perle

und in der dunkelkammer
des herzens

wird es uns endlich ganz
licht


(c) Monika Kafka, 12/10

Dienstag, 14. Dezember 2010

wenn orgelpfeifen frieren


(c) Foto: Dieter Vandory


wenn orgelpfeifen frieren
trauern die töne
im heiseren licht

das ohr hört sich wund
an der kristallenen stille

und in den weiten räumen weißt
selbst mein schatten
im wind

(c) Monika Kafka, 12/10

Donnerstag, 9. Dezember 2010

in dunkelnächten


(c) Foto: Dieter Vandory
In Dunkelnächten
leuchtet mir noch immer
jener Dezembertag
in wankelmütigen Flocken

(dabei trug ich kein weiß)

bald schreiben wir
den zehnten Winter und ich
hänge fest in Eiskristallen
wish you where here
doch du
kennst das Lied nicht...
(c) Monika Kafka, 2010

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Aus aktuellem Anlass

Die Debatte um Oskar Pastiors Securitate-Akte zieht weitere Kreise. Immer mehr rumäniendeutsche Autoren geraten in einen Sumpf aus Verdächtigungen, Misstrauen und übler Nachrede. Die sog. „Beweise“ für angebliche Spitzeltätigkeiten sind entweder dürftig oder zumindest sehr fragwürdig.

In diese regelrechte Schlammschlacht wurde nun auch der von mir sehr geschätzte Autor und Freund Claus Stephani hineingezogen. Öffentlich angeprangert von führenden rumäniendeutschen Autoren und Literaturwissenschaftlern hat er eine Gegendarstellung verfasst, die heute, 8.12.10 erschienen ist und die ich hier in vollem Umfang wiedergeben möchte, weil ich wie er der Ansicht bin, dass „differenzierteres Denken, Nachdenken und Überdenken gefragt ist, bevor jemand im Schnellverfahren von selbsternannten Richtern öffentlich beurteilt und verurteilt wird.“


8. Dezember 2010
Wer war eigentlich IM „Moga“? – Stellungnahme von Claus Stephani

Zu dem Bericht von Peter Motzan "Ein Bericht des IM 'Moga' und seine Folgen", der mir vorab von der Redaktion zugeschickt wurde, mit der Bitte, dazu in vorgegebener Kürze eine Stellungnahme zu schreiben, will ich mich nun äußern. Es geht auch hier um die Berichte des IM „Moga“ alias Claus Stephani. Wie ich vor knapp 50 Jahren zu diesem Decknamen kam und wann er nicht mehr meiner war, habe ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. November 2010, Seite 35, dargestellt, und dazu stehe ich.

In dem von Motzan zitierten, maschinegeschriebenen „Notă-Raport“ vom 27. Februar 1976, Unterzeichner Major Gheorghe Preoteasa, werden die Namen von drei Redaktionsmitgliedern der Neuen Literatur genannt, die beim Besuch der westdeutschen Publizistin Renate Windisch-Middendorf zugegen waren: Anemone Szász Latzina, Elena Călin und Claus Stephani. Windisch-Middendorf überbrachte ein Buch von A. U. Gabanyi für Peter Motzan. An diesen Besuch kann ich mich vage erinnern, doch ich weiß nicht, wer sich damals gerade nebenan, im Zimmer der beiden Chefredakteure aufhielt, oder wer zeitweilig noch bei uns war, wo – wie in jeder Redaktion – ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Verwunderlich ist, dass IM „Moga“ alias Stephani in seinem Bericht auch Claus Stephani erwähnt – auch wenn man damit beweisen will, dass er zugegen war. Motzan behauptet, oben genannter „Notă-Raport“ soll die Eröffnung des „operativen Vorgangs ‚Mocanu’“ und damit seine persönliche Beschattung verursacht haben. Das aber kann so nicht stimmen.

Mir liegt eine „Notă Sinteză“ vom 18. April 1986 vor, unterzeichnet von Colonel Constantin Banciu, aus der hervorgeht, dass „Motzan Petru“ (sic) bereits seit 1969 unter Beobachtung der Securitate stand, unter anderem weil er – auch privat – Kontakte zu westdeutschen Kollegen am Lehrstuhl pflegte und seine publizistische Arbeit bereits 1978 von Radio Europa Liberă sehr positiv bewertet wurde usw. Im letzten Teil dieser Synthese, betitelt „Măsuri“, d. h. Maßnahmen, wird die verschärfte Beobachtung Motzans angeordnet: durch die Bespitzelung seitens einiger Kollegen, durch das Anbringen spezieller Abhörgeräte („se vor instala mijloace speciale“) in seinem Arbeitsraum an der Universität und in seiner Wohnung, durch geheime Durchsuchungen („percheziţii secrete“) seines Arbeitsplatzes und der Wohnung. Ferner will man weitere Informanten anheuern. Motzan schreibt, dass ihn, 1971-1989, insgesamt 32 IM bespitzelt haben. Außerdem verweist Motzan in seinem Referat auch auf einen kürzlich erschienenen Beitrag von William Totok in der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Heft 1 und 2/2010. Hier würde Totok „als Erster die Identität des IM ‚Moga’ enthüllen. Es ist, laut Totok, Claus Stephani...“.

Dieser Aufsatz von Totok bezieht sich u. a. auf eine Gedichtmontage der Aktionsgruppe Banat in der Neuen Literatur, Heft 4/1974. Über diese Gedichte hätte „Moga“ alias Stephani in einem Bericht vom 30. September 1974 „in einem bösartigen Rundumschlag, der in gravierenden politischen Denunziationen gipfelte...“, die Texte analysiert, im Besonderen ein Gedicht von Gerhard Ortinau. Totoks Unterstellungen basieren auf einem maschinegeschriebenen, undatierten Text, der keine Unterschrift trägt. Dazu nun Folgendes.

Erstens: Warum sollte ich jene Zeitschrift, wo ich als Redakteur arbeitete, durch eine derartige Analyse so gefährden, dass sie eventuell verboten wird?

Zweitens: Diese Gedichte, wie auch alle anderen Texte, wurden – wie jedem bekannt ist – vor der Veröffentlichung von der Zensur gelesen und dann bewilligt oder zurückgewiesen. So verantwortete primär die Zensur für jeden publizierten Text.

Drittens: Die von mir im Juli desselben Jahres herausgebrachte Anthologie „Befragung heute. Junge deutsche Lyrik in Rumänien“ (Kriterion Verlag, Bukarest, 1974) enthält Gedichte von 24 jungen AutorInnen, darunter auch Gerhard Ortinau, Rolf Bossert, Anton Sterbling, Peter Grosz und Albert Bohn. Das Buch kann in deutschen Bibliotheken ausgeliehen werden. Ich habe gerade in jener Zeit junge Autoren gefördert (z. B. als Leiter des Bukarester Literaturkreises und des Poesie-Clubs). Nun soll also ausgerechnet ich außer den genannten fünf Autoren meiner Anthologie auch andere denunziert haben? Damit hätte ich ja zuerst mir selbst geschadet und das Erscheinen der Anthologie verwirkt. Die negative Bewertung jener Gedichte wurde – wie aus der Akte ersichtlich – von einem IM „Moga“ geliefert. Doch jener IM „Moga“ war nicht ich.

Aufgrund solcher „Beweise“, die nur maschinegeschrieben vorliegen, nun eine medienweite Kampagne loszutreten, ist unverantwortlich.

Claus Stephani

Donnerstag, 2. Dezember 2010

dezembernebel

(c) Foto: Jürgen L. Hemm


dezembernebel
und aufgepeitschter wellenschlag

der kapitän ging über bord
herrenlos schwankt das schiff

was du gesagt hast ja
ich weiß ein leuchtturm
ist irgendwann wieder in sicht

nur dass es so kalt ist mutter
so kalt

und keine hand
auf der fiebrigen stirn


(c) Monika Kafka, 2010

Samstag, 27. November 2010

bitter



(c) Aquarell: Olivia Quintin


und wieder
hätte es sein können

dass unser sehnen
im gleichklang schwingt

stattdessen reichst du mir
den mandelkelch

zur nacht die worte
haben uns beiden

nicht gemundet


(c) Monika Kafka

Montag, 22. November 2010

murnau - eine liebe

(c) Bild: Gerd Messmann


im kleid der frostrosen
erwart ich dich

wenn die nacht ihr eishaar kämmt
stürzen die sterne auf deinen weg

du wirst kommen
genadelten schrittes wirst du

durchschreiten das schwarz
ummantelte gebirg

wenn moorgeister geifern
an deiner seite

sag ihnen ein
das sehnsuchtsbrot

werden wir teilen und weiteres
holz dem feuer geben


(c) Monika Kafka, 11/10